Trauerbräuche der Völker.

Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt 126. Jahrgang, Nr. 48, 26. November 1933, S. 1-2

Zum Totensonntag.

Die Art des Trauerns um Verwandte und Freunde und die Art, wie die Toten bestattet werden, hat sich im Laufe der Menschheitsgeschichte vielfach gewandelt und ist von mancherlei äußeren Bedingungen abhängig. Hoch oben in den Bergen waren andere Bestattungsarten üblich als in den Flußniederungen, seefahrende Völker hatten andere Totenbräuche als Volksstämme weitab vom Meere, im Urwald mußten andere Arten der Totenbestattung erstehen als in frei daliegenden großen Prärien und Steppen. Ebenso machte sich das Gefühlsleben bei Trauerfällen recht verschieden bemerkbar. Verwegene wilde Krieger trauerten anders als friedliche Ackerleute, in festen Wohnplätzen machte sich das Trauern um einen Angehörigen anders geltend als bei umherziehenden Hirtenstämmen. Bei primitiven Völkern kommt das Gefühl beim Verlust eines Häuptlings in anderer Weise zum Ausdruck als beim Verlust eines gewöhnlichen Stammesangehörigen.

Schon im Altertum, bei Völkern, die längst im Strom der Geschichte untergegangen sind, und in längst vergessenen Kulturperioden war die Art des Trauerns und der Totenfeiern charakteristisch für ein Volk und für seine gesellschaftlichen Zustände. Oft sind die Totenmäler die einzigen sichtbaren Zeichen aus vergangenen Zeiten und von untergegangenen Völkern. Die Wohnungen der Menschen waren leicht gebaut und dem Verfall ausgesetzt, die Wohnungen der Toten aber waren oft aus festem Material und schienen wie für die Ewigkeit hergestellt. Das sehen wir nicht allein bei den Pyramiden in Ägypten, auch in anderen Teilen der Erde wurden den Toten große feste Bauten errichtet.

Besonderer Art sind die Toten- und Bestattungsgebräuche, die noch überall bei den sogenannten Naturvölkern anzutreffen sind, bei all den Volksstämmen, die in Afrika, Amerika und Australien noch auf den untersten Stufen der Zivilisation leben. Die ungeregelte Lebensweise derartiger Volksstämme, der ständige Wechsel an Mangel und Überfluß, der Mangel an Selbstbeherrschung und die nach vielen Seiten hin auf Zufälle gestellte Art des Lebens mußten bei den Naturvölkern auch zu eigenartigen Totenfeiern und Bestattungsfeiern führen. Wie die Naturvölker unter einigermaßen erträglichen Verhältnissen oft ein recht sorgen- und wunschloses Leben führen, so kommen bei ihnen aber auch die Verzweiflung und der Schmerz um so wilder und erschütternder zum Ausdruck. Der Schmerz über den Verlust eines teuren Toten führt bei den Naturvölkern oft zu schweren seelischen Erschütterungen, zu Selbstverstümmelungen, ja, sogar zum Opfertod für den Verstorbenen.

Auf Tahiti war es noch vor wenigen Jahrzehnten nichts Seltenes, daß sich Leidtragende beim Verlust eines Angehörigen einen Finger abschlugen oder sich mit scharfen Seehundzähnen rissen. Vielleicht geschieht dies vereinzelt noch heute. Das Abtrennen von Fingern als Zeichen der Trauer war auch bei den Indianern üblich, so daß alte Indianer oft nur noch Handstümpfe hatten. Auf den Sandwichs-Inseln wurde früher beim Tode eines Häuptlings jedem Stammesangehörigen ein Zahn ausgeschlagen. Auch kam es vor, daß zum Zeichen der Trauer die Ohrmuscheln abgeschnitten wurden. Auf Borneo warfen die Angehörigen mancher Volksstämme beim Verlust eines Angehörigen die gewöhnliche Kleidung ab und legten Kleider aus Baumrinde an. Auf den Fidschi-Inseln war es ständiger Brauch, daß die Witwen beim Tod ihres Mannes erwürgt und mit in das Grab gestoßen wurden. Bekannt ist auch die Witwenverbrennung in Ostindien, die vereinzelt auch heute noch vorkommt — trotz englischer Überwachung.

Bei manchen malayischen Völkerschaften werden große und langandauernde Totenfestlichkeiten abgehalten. Dabei ist es Grundsatz, daß von den Lebensmitteln und von dem Palmwein des Verstorbenen nichts übrig bleiben darf. Als Gipfelpunkt einer Totenfeierlichkeit wurde es in weit zurückliegenden Zeiten oft angesehen, wenn die Sklaven des verstorbenen Häuptlings mit in den Tod geschickt wurden, damit sie ihrem Herrn auch im Jenseits dienstbar sein konnten. Je nach dem Material, das zur Verfügung stand, wurden die Toten auch überall in verschiedenen Umhüllungen begraben. Im alten Babylonien kamen die Verstorbenen in flache Tonschüsseln von ungefähr zwei Meter Länge, bei den alten germanischen Völkern wurden die Toten in Einbaumsärgen beerdigt, in Eichenstämmen, die ausgehöhlt, gespalten und wieder geschlossen wurden. Auch kam es bei den germanischen Völkern häufig vor, daß die Toten mit Tierhäuten umgeben und in voller Kleidung mit Schmuck und Waffen begraben wurden.

Im alten Rom war die Totenbestattung schon frühzeitig gesetzlich geregelt. Bereits im Jahre 450 v. Chr. bestand in der Stadt Rom ein Gesetz, das eine ganze Anzahl von Bestimmungen über die Totenbestattung erhielt. So durfte innerhalb der Stadt keine Begräbnisstätte errichtet werden. Auch gegen zu großen Luxus bei Begräbnisfeierlichkeiten richtet sich schon eine Bestimmung. So war vorgeschrieben, daß den Toten goldener Schmuck nicht mit in das Grab gegeben werden durfte. Grabdenkmäler erhielten nach diesem Gesetz einen weitgehenden Schutz. Sie konnten weder verkauft noch gepfändet werden. Auch durften in einer gewissen Entfernung von den Grabstätten keine Häuser errichtet werden. Wie es scheint, kamen auch noch im alten Rom als Zeichen des Schmerzes Selbstverstümmelungen vor, sonst wäre eine Gesetzesbestimmung unverständlich gewesen, die den Leidtragenden die Zerfleischung des Gesichtes verbot. Auch heute noch lassen sich viele Unterschiede der Totenfeierlichkeiten und der Begräbnisbräuche aufzählen. Schon wenn man die verschiedenen Gebiete Deutschlands durchgeht, wird man auf vielerlei Abweichungen stoßen.