Die Schneekatastrophe im Obererzgebirge vor 40 Jahren.

Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt Nr. 1 / 120. Jahrgang. 9. Januar 1927. S. 2 – 3.

(Schluß.)

Und trotz dieser gewaltigen Ausdehnung des Straßennetzes kommt ihm an Umfang das Eisenbahnnetz unseres Vaterlandes fast gleich. 2200 km Bahnen verschiedener Art befinden sich dermalen im Betriebe des Landes. Und alle diese Straßen und Bahnen haben mehr oder weniger unter dem Schneewetter der letzten Tage zu leiden gehabt. Da ist es denn klar, daß die für das Auswerfen von Schnee im Staatshaushaltplan vorgesehenen Summen, 10200 Mk. bei der Eisenbahnverwaltung und 100000 Mk. bei den Straßen, für dieses Jahr wenigstens, nicht ausreichen werden, und so wird denn insbesondere die Eisenbahn zu dem großen Schaden, der ihr aus der Unterbrechung des Verkehrs und dadurch bedingten Ausfall der Einnahmen erwachsen ist, auch noch den höheren Aufwand für das Auswerfen von Schnee etc. zu tragen haben. Daß auch den Gemeinden in gleicher Weise mannigfacher Schaden erwächst, daß insbesondere die im Haushaltplane unserer großen Städte, die für solche Fälle vorgesehenen großen Summen nicht ausreichen, sondern weit überschritten werden dürften, ist selbstverständlich und macht das Übel nur noch schlimmer. Der Schaden, den das Schneewetter der letzten Tage verursacht hat, ist eben ein ganz ungeheuerer und mag leicht eine halbe Million Mark im ganzen Lande betragen.

Annaberg, 29. Dezember.

Die bis gestern Abend herrschenden Schneewehen, denen in der Nacht ein von gelindem Frost abgelöstes Thauwetter folgte, haben wieder arge Verkehrsstörungen im Gefolge gehabt. Von den sächsischen Staatsbahnen waren gestern Nachmittag durch den Schnee gesperrt: 1. Niederwiesa-Frankenberg-Hainichen, 2. Nossen-Freiberg, 3. Marienberg-Reitzenhain, 4. Neustadt-Dürröhrsdorf, 5. Zittau-Großschönau, 5a. Reichenau-Markersdorf, 6. Annaberg-Weipert, 7. Zwickau-Falkenstein, 8. Löbau-Oberoderwitz-Zittau, 9. Scheibe-Warnsdorf, 10. Freiberg-Bienenmühle, 11. Stollberg-Egidien, 12. Wüstenbrand-Lugau, 13. Herlasgrün-Falkenstein. Die heute hier ankommenden Züge sind rechtzeitig eingetroffen.

Stadt mit großer Kirche vor Berg
Annaberg im Winter.
(Aufnahme von Studienrat Langer-Annaberg.)

Buchholz, 30. Dezember.

Ein Schlitten verschüttet.

Große Schneemassen stürzten gestern von dem Dach eines Hauses in der Karlsbader Straße und verschütteten die Insassen eines aus Thum stammenden Schlittens so vollständig, daß derselbe aus dem Schnee herausgeschaufelt werden mußte. Von der Wucht des Schneesturzes zeugt der Umstand, daß der Schlitten zum Theil zertrümmert wurde.

5. Januar 1887.

Altes und Neues aus dem Erzgebirge.

Schneewetter um Weihnachten, das ist wenigstens an sich nichts Auffallendes, wenn schon ein so massenhafter Schneefall, wie wir in der letztvergangenen Woche haben erleben müssen, fast unerhört sein mah. Indeß berichten doch die Chroniken auch in dieser Beziehung aus früherer Zeit ganz wunderbare Dinge. Im Jahre 1489 fiel im ganzen Erzgebirge ein so großer Schnee, daß er klafterstarke Bäume brach. – Im Jahre 1556 drückte der Schnee am 6. Februar in Joachimsthal etliche Häuser ein und tödtete darunter sieben Personen. Im Jahre 1565 blieb der Schnee ganze 4 Monate liegen, und so lange währte auch damals, weit bis ins Niederland herab, die Schlittenbahn. Nicht minder hart war der Winter im Jahre 1571. Während des Januars dieses Jahres und der Tage des vorangegangenen Dezembers schneite es ununterbrochen 40 Tage lang. – Im Jahre 1681 aber fing sich am 27. November „überall im Gebirge ein solches greuliches Schnee- und Winterwetter an, daß binnen 14 Tagen niemand weder aus- noch eingekunt, die sich aber hinausgemacht, sind nicht alle wieder heimgekommen, daher dann große Noth ums Getreide und Brot gewesen”. 1701 lag am 5. Februar in Gottesgab der Schnee haushoch. Ein Bergbursche, der damals in eine Windwehe gekommen, versank in derselben so, daß er erst nach einer vollen Woche, obwohl täglich an die 30 Personen arbeiteten, ausgegraben werden konnte. Noch auffallender aber erscheint es, wenn die Chroniken von Winterwetter zu ganz ungewöhnlich früher oder später Zeit, oft noch im beginnenden Sommer, berichten. Im Jahre 1486 lag der Schnee noch um Cantate, also im Monat Mai. Im Jahre 1554 hatte man sogar im Juni, am Johannistag, noch großen Schnee. Ebenso schneite es im Jahre 1597 im Gebirge noch am Pfingstabend und gab einen gräulichen Frost und viel Schaden in den Wäldern. Ähnlich war es im Jahre 1626, wo es im Mai sogar etliche Tage hintereinander schneite. Im Jahre 1635 gab’s ebenfalls mitten im Mai einen tiefen Schnee, und die Kälte war so groß an diesem Tage, daß mehrere Personen erfroren. Auch im Jahre 1656 gab’s im Mai Schnee, der, wie der Chronist höchst poetisch sich ausdrückte, „denen Hügeln die Trauer Schleyer aufsetzte”. 1665 mußte wegen ungewöhnlich tiefen Schnees die Leipziger Ostermesse bis Sonntags Trinitatis provogiret werden. Damals geschah auch, was aus unseren Tagen die Blätter kürzlich berichteten, daß ein Bräutigam, merkwürdiger Weise war’s auch damals einer aus Bayern, „uff seinem angestelleten Hochzeit-Tag zu Annaberg nicht erscheinen kunte, sondern erstlich den Tag hernach ankam”. Vor 200 Jahren 1686, fiel noch nach Pfingsten Schnee. Ebenso fiel der Schnee im Jahre 1698 noch im Mai, nachdem man schon am Ostertag noch hatte mit Schlitten fahren können. 1705 lag der Schnee am 26. Mai um Schneeberg eine viertel und an manchen Stellen eine halbe Elle tief, und an den Dächern erblickte man Eiszapfen. Der Schnee blieb auch des anderen Tages noch liegen, ja in den Wäldern bis weit nach Pfingsten, so daß man vielfach Schwalben und andere Vögel, alte und junge, in ihren Nestern todt fand, weil sie entweder erfroren oder aus Mangel an Nahrung umgekommen waren. Im Jahre 1670 dauerte der Winter und die Schlittenbahn volle 18 Wochen, so daß damals ein Kaufmann aus Annaberg auf dem Schlitten von der türkischen Grenze her bis vor sein Haus gefahren ist. 1688 lag der Schnee im oberen Gebirge von Michaelis bis Pfingsten. Auch 1691 „stund im kalten Winter die Schlitten-Bahne zehen Wochen, darbey denn alles guten Kauffs war”. Das Jahr 1714 ermangelte zunächst des Schnees und der „Gebürgischen Schlittenbahne”, aber mit „Anfang des Martii fing es dergestalt an zu schneyen und zu stöbern, daß man fast weder aus, noch ein kunte, und dahero kam die desiderirte Schlittenbahne dem gebürgischen Haußvater, noch sehr wohl zu statten”. Das Jahr 1716 brachte vollends den Freunden des Schlittenfahrens großes Vergnügen, denn damals konnte man noch im Mai auf weicher Schneedecke lustig über die Berge fahren wie dies denn der Pastor der Kirchen zu St. Katharinenberg zu Buchholz, Christian Meltzer, wie er selbst in der „Historia Schneebergensis” vermeldet, am Sonntag Quasimodogeniti auch wirklich gethan.

Annaberg, 7. Januar.

Den heftigen Schneewehen, welche am Mittwoch wiederum verschiedene Stockungen im Eisenbahnverkehr zur Folge hatten – der Eisenbahnverkehr zwischen Cranzahl und Weipert stockt seit Mittwoch – folgte eine milde Winter-Temperatur, welche gestern als am Hohenneujahrstage zahlreiche Schlitten auf die Landstraßen und von den Nachbarortschaften in die Stadt trieb. Auf dem Schutzteich, woselbst gestern Nachmittag nach den Klängen der Concertmusik dem Eissport gehuldigt wurde, hatte sich ein reges Leben entfaltet und sah man noch in den späten Abendstunden die Schlittschuhläufer sich ihrem munteren Vergnügen hingeben.

Buchholz, 6. Januar.

„Fangen die Tage an zu langen, kommt der Winter erst gegangen”, dieses altbewährte Sprichwort hat sich auch dies Jahr bewahrheitet. Die ungeheueren Schneemassen, welche die Wege ungangbar machten, haben sich endlich zu fester, schöner Bahn in Fesseln schlagen lassen, der furchtbare Sturm hat einer ruhigen, milderen Luft Platz gemacht und der umwölkte Horizont strahlt in heiterer winterlicher Bläue. Was vor dem Fest unmöglich war, bringt uns die ruhigere Nachzeit. Wir haben endlich Schlittschuhbahn. Von Groß und Klein langersehnt, wurde sie von beiden gleich froh begrüßt. Auf der künstlich überwässerten Wiese des Herrn Bäckermeister Sühnel hier kann man von früh bis spät Abends eine fröhliche Schaar leichtbeschwingter Läufer sich tummeln sehen. Am meisten besucht sind jedenfalls die Sonn- und Feiertags abgehaltenen Concerte, wo der muntere Rhythmus fröhlicher Weisen auch Ungeübteren zu Hilfe und Anspornung kommt.

Annaberg, 7. Januar.

Der Schneesturm am gestrigen Abend verwehte die Wege ärger als seine Vorgänger.

Fünf von Weipert kommende beladene Kohlenschlitten mußten infolgedessen in Pleil im Freien stehen gelassen und heute morgen ausgeschaufelt werden.

Cranzahl, 6. Januar.

Das Unwetter der Tage vor dem Hohenneujahr erlaubte den Eisenbahnverkehr auf der Annaberg-Weiperter Linie nur bis Mittwoch Mittag und konnte nur mit großen Beschwerden ermöglicht werden. Mittwoch früh 6 Uhr, bei der Ankunft des ersten Zuges, mußten unsere Schneeschurer schon wieder an Ort und Stelle sein. Der am Mittwoch Nachmittag 5 Uhr von Annaberg nach Weipert abgegangene Zug konnte nur den Bahnhof Cranzahl erreichen. Als der Zug von Cranzahl nach Weipert abgegangen war, wurde ihm nach kurzer Fahrt von den Schneewehen energisch Halt geboten. Er konnte weder rückwärts noch vorwärts, sodaß sofort nach einer anderen Lokomotive telegraphirt werden mußte. Nach 9 Uhr kam auch die Hilfe in Cranzahl an. Erst als der Zug ausgeschaufelt und die Wagen einzeln auf dem Bahnhof zu Cranzahl von der Hilfsmaschine zurückgeschafft worden waren, konnte nach 11 Uhr der Zug die Rückfahrt nach Annaberg wieder antreten.

Zum Schluß noch ein Kuriosum.

Die Besteigung des Fichtelberges galt vor 40 Jahren als ein Ereignis, welches registriert zu werden verdiente, wie nachstehende Notiz zeigt:

Oberwiesenthal, 7. Januar.

Die erste diesjährige Besteigung des Fichtelberges wurde am gestrigen Hohenneujahrstag von drei auswärtigen und drei hiesigen Herren unternommen. Der Aufstieg geschah auf dem direkt hinaufführenden Weg, an dem völlig vereisten Springbrunnen vorbei und nahm, trotzdem der Schnee theilweise bis 1½ m hoch lag und die Tragfähigkeit desselben im Walde eine geringe war, nur 1½ Stunde in Anspruch. Den Anblick der Szenerie auf dem Berge selbst, sowie der Ausblick in die Ferne wurde von den Unternehmern als ein großartiger geschildert, sodaß dieselben hochbefriedigt von dem Erfolg ihrer Tour den Abstieg bewerkstelligten.