Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt 125. Jahrgang, Nr. 1, 3. Januar 1932, S. 1
Der Brauch, sich am Neujahrstage gegenseitig Glück zu wünschen, ist schon uralt. Bereits viele Jahrhunderte vor der christlichen Zeitrechnung waren Neujahrsglückwünsche üblich. Das geht aus vielen Gräberfunden und auch aus anderen Feststellungen hervor. Ob sich bei Beginn eines neuen Jahres in Babylonien, Assyrien und im alten Ägypten nur die Großen und Reichen gegenseitig beglückwünschten, oder ob dies ein allgemeiner Brauch auch im niederen Volke war, wird sich allerdings kaum mehr ermitteln lassen. Die Neujahrswünsche der alten Babylonier und der alten Ägypter wurden allerdings nicht in Form von Briefen übermittelt, sondern in Form von Geschenken aller Art. Kunstgegenstände aus den verschiedensten Gebieten, Bronze-, Gold- und Silberstatuen, Schnitzereien aus Elfenbein, Waffen, zierliche Gefäße für wohlriechende Salben und Öle, kostbare Waffen und Kleider und noch anderes waren Gegenstände, mit denen man sich ein fröhliches und glückliches neues Jahr wünschte. Der Brauch, die Neujahrswünsche durch Geschenke zum Ausdruck zu bringen, übertrug sich dann auch nach Griechenland und nach Altrom. Im oströmischen Reich verschenkten die Herrscher am Neujahrstage an die hohen Würdenträger, an die nächsten Verwandten und Freunde goldene Neujahrsdenmünzen, und auch im weströmischen Reich waren derartige und noch andere Geschenke als Neujahrsglückwünsche allgemein üblich. Wenigstens im weströmischen Reiche war es auch üblich, daß Untergebene ihre Vorgesetzten durch Neujahrswünsche in Gestalt von kleinen Geschenken zu erfreuen suchten. Wie es scheint, kam in Rom auch der Brauch auf, den Kindern am Neujahrstage Geschenke zu geben. Besonders Puppen aus Ton wurden in der alten römischen Hauptstadt zum Neujahrstage an Kinder viel verschenkt. Es gab sogar vor Beginn des neuen Jahres einen besonderen Markt für Tonpuppen. Diese Neujahrsgeschenke für Kinder bürgerten sich dann von Rom aus auch in anderen Teilen Europas ein; sie waren die Vorläufer unserer Weihnachtsgeschenke. In Frankreich und auch noch vereinzelt in anderen Gegenden kennt man übrigens die Weihnachtsgeschenke heute noch nicht. Dort wird immer noch, dem altrömischen Brauch entsprechend, zu Neujahr beschert.
Wann der Brauch, sich zu Neujahr Glückwünsche zu übermitteln, in Deutschland aufgekommen ist, ist unsicher. Die ältesten schriftlichen deutschen Neujahrswünsche, von denen wir wissen, gehen jedenfalls nicht über das 14. Jahrhundert zurück. Die Tatsache, daß man sich erst seit dem 14. Jahrhundert schriftliche Neujahrswünsche übersandte, beweist allerdings nicht, daß es vorher keine mündlichen Neujahrswünsche gegeben hätte. In der ersten Zeit wurden jedoch keine Neujahrskärtchen verschickt, sondern die oberen Kreise sandten sich langatmige Neujahrsbriefe, die mit frommen Sprüchen durchsetzt waren. Durchweg waren diese Neujahrsbriefe in einem ernsten feierlichen Tone gehalten. Bei weiten Entfernungen und bei den schlechten Verkehrsverhältnissen früherer Zeiten konnten diese Briefe auch nicht so abgesandt werden, daß sie beim Empfänger pünktlich am Neujahrstage einliefen. Als dann die Buchdruckerkunst erfunden war, tauchten auch bald gedruckte Neujahrskarten auf, ja, öfter ist schon behauptet worden, die ersten Buchdruckarbeiten Gutenbergs seien Neujahrskarten gewesen. Vom 15. Jahrhundert ab drangen auch Schalkhaftigkeit, Humor und eine gewisse Derbheit in die Neujahrsglückwünsche ein. Während sich die Älteren noch in feierlicher Weise Neujahrswünsche übersandten, wünschten sich die Jüngeren gegenseitig in humoristischer Weise allerlei Dinge, die nie Wirklichkeit werden konnten. So wünschte man einem Bekannten in Versform, daß Flöhe ihm im neuen Jahre ein Fuder Wein ins Haus bringen möchten, einer Hausfrau wünschte man für das neue Jahr einen Krebs, der die Spinnarbeiten übernimmt, man gab dem Wunsche Ausdruck, daß im neuen Jahre die Mühlsteine fliegen lernen möchten und einem Landwirt wünschte man im neuen Jahr Getreidekörner, von denen ein einzelnes hundert Pfund wiegt.
Mit der Zopfzeit kam etwas Zopfig-Bizarres auch in die Neujahrswünsche. Man war bei den Glückwünschen zum neuen Jahre überhöflich und zeremoniös. Freilich dürften in dieser Zeit auch die schönsten Neujahrswünsche entstanden sein; denn häufig wurden sie von tüchtigen Künstlern entworfen. Später wurden dann die Glückwünsche zum Neujahr wieder kürzer und unzeremoniöser, bis sie dann im 19. Jahrhundert während der Biedermeierzeit wieder etwas Gemütlich-Altväterisches erhielten. Recht verschieden sind noch heute in den einzelnen deutschen Gegenden die Neujahrsglückwünsche, die mündlich vorgetragen werden. Dabei gibt es feststehende Sprüche, die schon Jahrhunderte alt sind. In der Eifel wünschen sich die Leute zum neuen Jahre „ruhig zu leben und ruhig zu sterben”, auf Helgoland wünscht man sich ein „Ruhiges Herz”, bei den Deutschböhmen geht der Neujahrswunsch auf ein langes Leben und auf einen vollen Geldbeutel hinaus, und so gibt es noch viele Neujahrssprüche, die von Mund zu Mund gehen.