Mit offenen Augen durch die Heimat

Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt Nr. 42, 134. Jahrgang, 27.10.1940, S. 1.

(1. Fortsetzung.)

Über 300 Hermannsdorfer gehen nach auswärts zum Schaffen, nach Elterlein, Annaberg, Buchholz, Bernsbach, Beierfeld, Geyer, Grünhain, Scheibenberg, Schlettau und Tannenberg. Zu Grünhain hat Hermannsdorf in mehrfacher Hinsicht Beziehungen. Erstens einmal stößt das Grünhainer Staatsforstrevier an seine Fluren an und zweitens gehörte die Siedlung ehedem zum ausgedehnten Besitz des Klosters Grünhain. Die 1842 umgebaute Kirche verfügt über alte Kirchenbücher. Das Rathaus wurde 1929 erbaut. Emsig schnarren die Sägen einer Schneidemühle durch die dörfliche Stille.

Aus Vergangenheit und Gegenwart von Hermannsdorf greifen wir einige Begebenheiten heraus, die im Erinnern der Bevölkerung fest haften. 1599 seien über 100 Menschen hier und in Dörfel an der Pest zu Grunde gegangen, 1639 und 1640 sogar 190 in beiden Orten. Am 15. Januar 1923 entgleiste infolge Schneeverwehungen bei der Station Hermannsdorf der Stollberg—Schlettauer Personenzug. Zwei Jahre lang erfreute sich das Zschopaudorf des Besuchs von KdF-Gästen Groß-Berlin, der Kurmark, Schlesien, Düsseldorf und Leipzig. Und nicht wenig stolz sind die Hermannsdorfer auf ihre in 670-700 Meter Höhenlage befindlichen Heimatschutzwiesen, auf denen unter anderem Knabenkraut, Arnika und Johannisblumen nunmehr ungestört gedeihen können …

J. B.

Thumer Entdeckungen …

Will man solche machen, so muß man gemächlich durch das Städtchen bummeln. Da findet man über dem Rathaustor das bunte Stadtwappen, daneben die vielsagenden Jahreszahlen 1469 und 1936 in Gold und schaut am Rathaus vorbei auf nahen dunklen Waldhang. Die beiden Löwen vorm Barockportal des Bürgermeisterhauses blicken mit starren Augen nach dem im Kreis wirbelnden Springbrunnen. An der Bergstraße überläuft Clematis mit Kresse gemischt eine niedrige Hausfront. In den Gärten watscheln Gänse, scheinbar düster ahnend, daß sie bald … sterben müssen. Wo diese Straße in die Felder vorm Waldrand einmündet, schaue ich mich stadtwärts um, vorbei an einem Haus mit hellgrünen Fensterstöcken. Die Gasse gewährt zwar nur einen kleinen Ausschnitt vom Stadtbild, aber es ist ein köstlicher. Es ist ganz geruhsame Kleinstadt, bei der eine anheimelnde Stimmung förmlich an den zusammengedrängten Dächern hängt.

Auf dem Wegweiser nach den Forsthäusern und der Bastei springt ein geschnitzter Rehbock. Der Baumbestand des Schulplatzes nimmt sich mit gepflegtem Rasen und hübscher Springbrunnenanlage, mit Sandspielkasten und Bänken ganz famos aus und wird zur grünen Insel vor der Horst-Wessel-Oberschule und vor der Volksschule.

Dann bin ich zwischen einem Gemisch von sehr verschiedener Bauart, aber das Fachwerkhäusel mit dem grau-grünen Balkenwerk gefällt mir doch am besten. Von derlei bodenständigem Stil gibts hier noch mehr. Er stellt sich so an die Wege, daß er nicht übersehen werden kann. Das Ende der Wiesenstraße wird von Wiesen und einem querstehenden Leiterwagen abgeschlossen. Dann begegnet mir ein Haus mit schieferbehängter Front, traulich anzusehen und dicht dabei ein Garteneckchen, das von Dahlien bunt überschäumt. Das Wegzeichen nach dem gutausgebauten Schwimmbad haben sie mit zwei vollschlanken Thumer Nixen besetzt …

Obelisk
Thumer Erinnerungsstein an das letzte Gefecht des 30jährigen Krieges in Sachsen am 15. Januar 1648. (IES-Archiv)

Bald bin ich hinter der St. Annenkirche. Sie enthält „geschichtliche und künstlerisch wertvolle Erinnerungen”. So zeigt man´s im Aushängekästel an. Das Bronzerelief an überdachter Kirchentür zeigt Tobias Clausnitzer, der 1619 in Thum geboren wurde. Als evangelischer Kirchenliederdichter schuf er die bekannten: „Wir glauben all an einen Gott” und „Liebster Jesu, wir sind hier …”. Gerade die lauschig-grünen Winkel um die Kirche sind reich an Merkmalen der Geschichte. Hierher hat man vom Schulplatz den Obelisk für die fünf 1870/71 Gebliebenen versetzt. Der Militärverein errichtete für 145 Weltkriegsgefallene ein einfaches Mal.

(Fortsetzung folgt.)