Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt Nr. 17, 132. Jahrgang, 23. April 1939, S. 1-2.
Plaudereien von Johannes Blochberger.
Heller Gelenauer Morgen …
Es war zu Anfang März dieses Jahres. Niemand dachte an einen rückfälligen Winter. Die Sonne schien warm und es war fast, als sei Frühlingsbeginn schon vorbei. Ich war zeitig im Morgen schon in Gelenau, das eine so eigentümliche Geschäftigkeit ausstrahlt. Da hinauf zur hochstehenden Kirche blickte ich. Das Kreuz auf ihrem Turme stand glänzend im jungen Tag und mir ward förmlich feierlich zumute, weil ich unter ihm die ehrwürdige stille Stätte für die Gelenauer Weltkriegstoten weiß. Am Aufmarschplatz, der eine eigenartige, für eine Gemeinde dieser Größe imponierende Struktur aufweist, blieb ich lange stehen und maß den weiten Raum im Sonnenlicht mit meinen Augen ab. Ich habe nicht nach Maßen gefragt. Aber auch ohne das genaue Wissen um Meter und Quadratmeter spürt man die ungeheure Arbeit, die dieses Werk inmitten des Ortes erfordert hat. Wenn schon überall in deutschen Gauen die Gestaltungskraft einer neuen Zeit ihre augenscheinlichen Wirkungen heischte, so hat Gelenau das Seine im Kreise frohschaffender Gemeindeverwaltungen gewiß getan. Im sonnigen Morgen nimmt sich sein Werk aus, als sei es vom Heiligenschein einer kraftvollen Zukunft umfaßt …
Immer bin ich gern durch Gelenau gegangen. Hier und da machte ich sogar einen Abstecher zu ihm hin. Der Impuls seiner Arbeit erfaßt jeden. Er wirkt aufrüttelnd. Er steckt an. Vielleicht ist`s sogar etwas wie Frohsinn des Alltags, den man in Gelenau empfindet und der einen anzieht. Man muß nur recht hinsehen und hinhören.
Daß ausgerechnet in einem derartig regen Industrieort die Gemeindeverwaltung in einem behäbigen ehemaligen Gutshof haust, wirkt durch den Gegensatz und die Eigenart wie eine Konzession von Fabriken an Bauerntum … Auch ansonsten spürt man die Kompromisse zwischen beiden wirtschaftlichen Komplexen. Rein äußerlich schon ist das sichtbar. Dicht am modernen Industriewerk, das mit hundert Fenstern zur belebten langen Hauptstraße herabschaut, macht sich der Bauernhof breit, und dort das gemütliche Fachwerkhaus des Häuslers, der selbst an der Strumpfwirkmaschine steht und dessen Frau die kleine Landwirtschaft besorgt und alle Minuten des Tages und des Abends mit emsiger Heimarbeit an Strümpfen füllt. Schon im zeitigen Morgen sah ich in Gelenau immer die Frauen und Mädel mit dicken Strumpfpacken daherkommen. Der Strumpf ist das Wahrzeichen dieser lebhaften mittelerzgebirgischen Gemeinde.
Und wenn ich wieder nach Gelenau komme und Zeit habe, da gehe ich zu jenem landschaftlich schönen Fleckchen mitten im Orte. „Wir sagen dazu „die Insel!” meinte eine Einwohnerin. Es sind einige Quadratmeter Eiland mitten in einem Teiche. Wie nach einem Rundfunkprogramm veranstalten die zahlreichen Vögel hier von früh morgens bis spät abends ihre Konzerte, jedem Vorüberkommenden zur besonderen Freude und den Beamten und Angestellten im Rathause zu jedem Federstrich und zu den Arbeitspausen. Für den besinnlichen Menschen aber sind diese Lieder unbedingt eine Lockung zum Stehenbleiben. Und für die Gäste des Ortes ein Anreiz zum Wiederkommen. Enten lagern in der Sonne an der Teichböschung und das Häuschen für Wasservögel war bereits im frühen Morgen freundlich angestrahlt vom Tageslicht. Ein Idyll ist das inmitten einer fleißigen Gemeinde. Man hat wohl verstanden, im Industrieort die Freundlichkeit der Landschaft zu erhalten und schenkte allen Menschen, die zum Rathause müssen, den Weg vorbei an „ihrer Insel”, von der der jubelnde Frohsinn reicher Vogelwelt hellen Klang in Menschenherzen auslöst!
Grießbacher Allerlei.
Mein Wissen über das Dörfchen dicht über dem Zschopautale gründet sich vornehmlich auf den wirklich begeisterten Bericht eines Mannes, der in Geyer geboren ist, dessen Mutter und Großmutter in Tannenberg leben und der seit längerem mit Grießbach durch seine Tätigkeit in der Gemeindeverwaltung verbunden ist. Wohl war er beruflich einige Jahre in der Leipziger Pflege, aber die Heimat zog ihn wieder in ihren Bann. Er ist der Mann, der uns am lautersten und freudigsten auch von dieser an sich kleinen und unscheinbaren Siedlung berichten kann. Jedes seiner Worte ist Liebe für Dorf und Scholle. Förmliche Wärme strömen sie aus, Begeisterung selbst für die schöne Kleinigkeit durch diese heimatinnige Unterhaltung klingt noch lange in uns nach wie die wohltuende Melodie seltener Freude und köstlichen Erlebens …
Was wir aus ihr behalten haben?
Daß Grießbach 1104 Einwohner zählt … 456 Hektar groß ist … Die Göttin Justitia mit Schwert und Waage im Bildsiegel steht … Von 26 Landwirtschaften fast alle als Erbhöfe bewirtschaftet werden … Die Zschopau östliche Flurgrenze bildet … Das Dorf 5000 Meter lang ist … 120 bewohnte Häuser zählt und ihre Bewohner eigentlich nach drei Bahnstationen gehen können … Daß die nächste höchste Erhebung mit 507 m der Heideberg ist … Fast jeder Bauernhof über schönen Waldbesitz verfügt und das Einsiedler Staatsforstrevier mit seinen grünen Hängen bis hierher langt … Daß in vielen Stuben fleißige Frauen und Mädchen bei der Heimarbeit an Strümpfen sitzen … Über 500 Arbeiter aber Tag für Tag nach Zschopau und Scharfenstein, Venusberg und Drebach, Chemnitz und Schlößchen-Porschendorf zum Schaffen eilen …
An der Zschopau drunten ist die Grießbacher Flur 430 m hoch, droben in Richtung Weißbach aber nahezu 500. Und da die vierklassige Schule über drei und eine halbe Lehrkraft verfügt, geht ein „halber Lehrer” nach Großolbersdorf. Grießbach führt zu seinem Namen die nähere Bezeichnung: Zschopautal. Zur Kirche gehen die Bewohner nach Drebach. Postalisch wird Grießbach von Wilischtal aus bedient. Das sind also gar keine so einfachen Verhältnisse.
Daß auch eine Tausend-Seelen-Gemeinde aufzubauen versteht, hat Grießbach bewiesen. Wenn man aus dem Zschopautale hochsteigt, muß man an den 13 Doppelhäusern der Frontkämpfersiedlung vorüber, die schon im November 1935 bezogen wurde. Zwischen ihr und dem bebauten Dorfe liegt freies Areal. Auf ihm ist die Fortsetzung der Siedlungstätigkeit geplant. Man hat geschätzt, daß eine vollkommene Bebauung die Einwohnerzahl auf rund 1700 bringen würde. Auch ein HJ-Heim ist geplant. Man wird es wahrscheinlich für die Grießbacher und Scharfensteiner Jugend gemeinsam errichten.
Die Schulglocke gibt in etwas zarter Tonart den Feierabend in Grießbach an. Ihre Stimme wird gewiß nicht in allen Ortsteilen vernommen, bestimmt nicht in Wilischtal und Grund, erst recht aber nicht auf dem vom Volksmund so benannten „Pfipch”, einer Höhe, über die der Wind besonders vernehmlich und stark weht …
Wie schon angedeutet, sind Eisenbahnanschlüsse nicht weit. KVG-Verbindungen nach Zschopau und Dittersdorf, Chemnitz, Gelenau und Ehrenfriedersdorf erreicht man in Weißbach. Einige Male tagsüber fährt auch ein KVG-Autobus hinaus zur „Roten Pfütze” am Ostzipfel von Großolbersdorf. Diese guten Verkehrsanschlüsse, die hübsche Lage Grießbachs, die Nähe ausgedehnten Waldes und des interessanten Zschopautales machen den Ort für die Aufnahme von KdF-Urlaubern sehr geeignet. Teiltransporte würde man sehr wohl und gut unterbringen können.
Nun wir das Dörfchen näher kennen, begreifen wir, warum der Mann aus Geyer es so liebgewonnen hat und es während seines zwölfjährigen Aufenthaltes in Böhlen bei Leipzig nahezu an jedem Wochenende besuchte. Nun will er nicht mehr fort von ihm. Erzgebirge, ganz gleich an welcher Ecke, ist seine Heimat! Das sagt alles …
Trautes Schönbrunn.
Neben seiner Jahrhundertealten Kirche zieht sich das Dörfchen hinab ins Zschopautal. wir haben es schon oft besucht, und doch ist es fast, als stünde es jedesmal neu und wiederum besonders anschauenswert vor uns, obwohl es sich kaum wesentlich verändert in der Zwischenzeit. Vieles an und in ihm ist uns vertraut geworden. So kennen wir wie liebe alte Bekannte in den Feldern auf der Höhe hinter dem Gottesacker das Trüppchen Fichten, die weit ins Land schauen können. Manches Fachwerk blickt uns an wie ein befreundetes Antlitz voll Innigkeit, Wärme und Freude. Hinter manchem Gartenzaun erwarten wir die Krokusse und Schneeglocken und Narzissen, die uns auch in anderen Jahren mit hellen Köpfen entgegenleuchteten. Und die Buben und Mädel sagen uns alle so heiter und froh ihren Gruß, als ob wir jeden Tag durchs Dorf gingen. Manchmal ists uns fast tatsächlich so, als gehörten wir zu ihm, das ein so hübsches Siegel führt. Ja, oft ist uns eine Maid aus dem Arbeitsdienstlager an der trotzigen Zschopaubrücke begegnet. Das Mädel lachte unter seiner Teufelskappe übers ganze Gesicht und da spürten wir, daß auch diese Jugend von sonstwoher aus Mittel- und Großstädten in diese herbe erzgebirgische Heimat hineinwächst. Hier wissen sie diese Mädels zu schätzen. Man sieht sie gern. Ihr Lager ist aus einer eingegangenen Gaststätte entstanden. Dicht über dem Zschopaufluß schauen seine Fenster zu Tal. Jetzt sind etwa fünfzig Mädels im Schönbrunner Lager. Es soll vergrößert werden.