Erzgebirgisches Sonntagsblatt 119. Jahrgang, Nr. 29, 18. Juli 1926, S. 7
Es war Winterszeit und strenge Kälte im Gebirge, als ein armes Mädchen aus Schlettau im Scheibenberger Walde Holz las, um ihrer kranken Mutter ein warmes Stübchen zu machen. Als sie sich nach einem starken Aste bückte, fühlte sie diesen festgehalten. Wie sie näher hinsah, erblickte sie ein kleines Männchen, nicht über zwei Schuh hoch, mit einem Krönchen auf dem struppigen Kopfe. Das Männchen bat mit weinerlicher Stimme: „Nimm mich mit, liebes Kind, sonst bringt mich die Kälte um. Ich habe kein Obdach. Laß mich in Deinen Korb setzen und decke mich mit Deiner Schürze zu.” Dem braven Mädchen dauerte der kleine Wicht. Behutsam hob sie ihn empor, setzte ihn in ihren Korb und deckte die Schürze darauf.
Auf dem Heimwege wurde ihr der Korb immer schwerer, so daß sie ihn nur mit großer Mühe nach Hause zu schleppen vermochte. Dort angelangt, ließ sie ihn keuchend von ihren schwachen Schultern und wollte, die Schürze aufnehmend, das Männchen herausnehmen und an den Ofen setzen. Doch das kleine Kerlchen war verschwunden und dafür lag ein großer Klumpen Silber im Korb.
Das Männchen mit der Krone war Oronomossam, der Zwergenkönig gewesen, der mit seinem kleinen Völkchen im Zwergenloch am Südhange des Scheibenbergs hauste, die Leute gern neckte — ihnen aber auch gern einmal etwas Gutes tat.
Die Zwerge sind verschwunden, nur das Zwergenloch ist noch vorhanden. Und wenn ein reines Sonntagskind heute dort vorbeigeht, so hört es wohl gedämpft aus dem Innern das lustige Quietschen des fidelen Bergvolkes.