Erzgebirgisches Sonntagsblatt 121. Jahrgang, Nr. 3, 15. Januar 1928, S. 1 – 2
Prof. F. Wippermann schrieb ihm zum 115. Geburtstage (7. Januar 1928) folgendes Gedenkblatt.
In seinem Buch über „Die Gründung Deutsch-Ostafrikas“ schreibt Karl Peters: „Geradezu ein Ereignis in meinem Leben war es, daß einer meiner Lehrer, der nachmalige Pastor Kreipe, mir im Alter von zehn Jahren die Naturstudien von Hermann Masius schenkte, in denen ich bis auf den heutigen Tag immer wieder mit Genuß lese. Ich kann nicht aussprechen, welche Summe von Freude und Anregung ich diesem feinsinnigen und tiefen Beobachter zu verdanken habe. Er, neben Arthur Schopenhauer, hat meinem Denken und Naturempfinden die ihnen eigentümliche Richtung gegeben.“
Noch manche andere haben vor Jahrzehnten auf der Schule tiefe Eindrücke, sei es unmittelbar aus den beiden Bänden der „Naturstudien“ empfangen, sei es aus den Lesebüchern, die damals gern Ausschnitte aus den, wie Biese in seiner Literaturgeschichte hervorhebt, mit klassischer Feinheit in Form und Gehalt geschriebenen Büchern von Masius. Oft und mit Vergnügen erinnere ich mich z. B. zweier anheimelnd anschaulicher und fesselnder Lesestücke, von denen das eine prächtige Würdigung der Königin der deutschen Wälder, der Eiche, gab, das andere ein zugleich ergreifendes und poesievolles Bild aus dem deutschen Wald- und Wildleben war.
Heute ist Masius fast ganz (ganz?) aus unseren Schulbüchern verschwunden. Mit Unrecht. Der „alte Masius“ ist wahrlich alles andere als veraltet! Den einen, einzigen Löns ausgenommen, nimmt er es mit jedem de Neueren an Fülle und Genauigkeit der Beobachtung, an Umfang und Sicherheit des Wissens um die Dinge der Natur und sicherlich an Liebe und Hingebung an die Natur und ihre kleinen und großen Wunder auf — wodurch er sich aber vor den meisten auszeichnet, das ist das herrliche, das klassische Deutsch, das dieser Mann schrieb, der durch die feinste Bildung gegangen war, der bei den erlesensten Geistern des eigenen Volkes und fremder, namentlich der antiken Völker zu Hause war. Dabei ist der Vielbelesene völlig frei von lehrhafter Aufdringlichkeit, von schulmeisterlicher Wissensauskramerei — im Gegenteil: mit seinem Takt, mit glücklichem Geschick, mit gesunder Lebensfrische belebt, erwärmt, verschönt er den Reichtum der eigenen Erfahrungen durch geschichtliche Bemerkungen, durch literarische Erinnerungen von Homer bis zu Shakespeare, zu Goethe, zur Droste, zu Freiligrath und Klaus Groth.
Manchmal gemahnen Masius meisterhaft geformte Landschafts-, Tier- und Pflanzenbilder an zwei große Namen, an Alexander von Humboldt und an Adalbert Stifter. Einen Schüler des ersteren nennt ihn W. Stapel, der jetzt aus den „Naturstudien“ die beiden trefflichen Auswahlbände „Norddeutsche Landschaft“ und „Deutsche Tierbilder“ zusammengestellt und den ersten Band mit Bildern (Hanseatische Verlagsanstalt, Hamburg) herausgegeben hat. „Natur und Geschichte, Pflege der Sprache und regsamer Anteil an den Dingen der Kunst vereinigt sich in ihnen zu einem wundervoll harmonischen Ganzen.“ Mit Humboldt wie mit Stifter, der ja auch seinem Hauptwerke den verwandt klingenden Namen „Studien“ gegeben hat, verbindet Masius nicht nur die liebevoll ehrfürchtige Hingabe an die „hohe, heilige“ Natur, sondern auch ihre tiefsinnige, poetische Beseelung, die Ahnung und Andeutung des geheimnisvollen Zusammenhanges zwischen Natur und Menschenseele, zwischen Natur und Gemüt — mag er uns durch die schlichtherbe Weite der norddeutschen Heide- oder Dünenlandschaft geleiten, mögen wir mit ihm den seltsam wunderbaren Wispern des Waldes oder dem machtvoll zauberhaften Brausen der Meereswogen lauschen oder mag er uns endlich zu den Kleinwundern der Alltagswelt um uns herum führen. Mit Recht hat Stapel seiner Neuausgabe „Norddeutsche Landschaft“ Bilder romantischer Maler (Carus, Heß, Morgenstern u. a.) beigefügt. Für alle Freunde der deutschen Landschaft, des deutschen Waldes und Meeres, der norddeutschen Heide und ihrer Bewohner aus dem Reiche der Tiere wie der Pflanzen, für Erwachsene wie für gereifte junge Leute kann ich mir keine schönere Lesung denken als des „alten Masius“ ewigjunge Natur- und Landschaftsskizzen.
Hermann Masius wurde am 7. Januar 1813 zu Trebnitz bei Könnern im Saalkreis geboren. Er besuchte das Gymnasium des Halleschen Waisenhauses; in Halle studierte er sodann und unterrichtete darauf nacheinander an den höheren Schulen in Halle, Annaberg, Salzwedel, wo vor allem er sich die umfassende und tiefe Kenntnis der heimischen Natur erwarb, und in Stralsund, von wo er als Direktor an die höhere Mädchenschule in Halberstadt und 1860 in gleicher Eigenschaft an die städtische Realschule in Dresden-Neustadt ging. Schon 1862 folgte er dem ehrenvollen Rufe, als Professor für Pädagogik an die Universität Leipzig zu gehen. Anfänglich von seinen Standesgenossen angefeindet, erreichte er je länger je mehr, daß er von allen Seiten anerkannt wurde. Hochgeachtet und verehrt ist der unermüdlich bis zuletzt schaffende Mann am 22. Mai 1893 gestorben.
Masius‘ „Naturstudien“ haben zu ihrer Zeit die freudigste Anerkennung der Besten gefunden; auch in fremde Sprachen wurden sie übersetzt — sie haben uns auch heute — in der rastlosen, vielverwickelten Zeit der Maschinen und Autos — mit ihrer abgeklärten Ruhe und schlichten Schönheit noch viel zu sagen!