Erzgebirgisches Sonntagsblatt 119. Jahrgang, Nr. 18, 2. Mai 1926, S. 2
Was klingen sie von der Höhe herab
Ins Tal, die ehernen Zungen?
Hat etwa der Tod den wankenden Stab
Der Hand eines Greises entrungen?
Weh! Was sie da klingen, die Glocken vom Turm,
Es ist nicht Geläute zum Frieden;
Sie heulen, und was sie heulen, ist Sturm,
Der Angstschrei des elends hinieden.
Die treffende Flamme aus friedlichem Dach
Aufloht sie, auf, hoch in die Höhe,
Und weiter und weiter allgemach
Trägt fort sie Verderben und Wehe.
Entfesselt ist einmal das Ungetüm,
Mag niemand denn seinem Wüten,
Mag niemand denn seinem Ungestüm
Mit kräftigem Munde gebieten?
Gesättigt ist’s endlich; die Glocke, sie schweigt;
Doch Trümmer sind Häuser und Habe,
Und das verödete Städtlein gleicht
Rings einem weit offenen Grabe.
Und Hunderte ringen die Hände empor,
Und Hunderte jammern und klagen,
Ein schriller und herzerschütternder Chor,
Zur Ferne von den Lüften getragen.
Was aber, was sammelt sich dort zu Hauf‘
So jählings die flutende Menge?
Was wühlen den Schutt und die Asche sie auf
In wogendem wirren Gedränge?
Was ziehen sie aus dem Getrümmer heraus?
Ist’s Silber, geschmolzen vom Feuer?
Sind’s Schätze, einst sorglich vergraben im Haus?
Sind’s Schätze, dem Suchenden teuer?
Zwei Leichen, zwei Kinder sind’s, frisch und rot
Und froh noch vor Stunden beisammen,
Zwei Kinder sind’s, sie ereilte der Tod,
Der grausame Tod in den Flammen.
Und siehe, sie haben umschlungen sich fest,
Wie ringsum der Tod sie bedrohte.
Welch‘ Bild, das der Treu‘, die vom andern nicht läßt,
Der Treue, die hält bis zum Tode!
Weint alle, die’s schauen, weint immerdar,
Doch wisset: die so sich umschlangen,
Die sind ein glückliches Engelpaar,
Zum Paradiese gegangen.
O freundliche Engel, seid immer zur Stell‘,
Wenn einer will brechen die Treue,
Daß wieder das Herz sich zum Herzen gesell‘,
Sich wehrend vor folternder Reue.