Ein Blick auf den Gabentisch unserer Vorfahren.

Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt 129. Jahrgang, Nr. 51, 15. Dezember 1935, S. 1

Von Alfred Schelzig.

Wir blicken in der vorwinterlichen Zeit in die Weihnachtsschaufenster der Spielwarengeschäfte. Auf blinkenden Schienen fahren schnelle Bahnzüge einher, mit roten Schlußlichtern an grünen Signalen vorbei. Soldaten marschieren auf. Dann sind da Häuser, Puppen aller Größen in vollendeter Wirklichkeit, bald Kinder, bald wie Erwachsene sich gebend, und viele, viele Tiere. Die können bellen, blöken, und was sonst alles noch, Glieder und Köpfe rühren, ganz wie die Lebendigen! Ein Markt voll Spielzeug in technischer Vollendung!

Weihnachtsreiter
Weihnachtsreiter aus Ostpreußen.
(Museum für deutsche Volkskunde.)

Erzieherisch veranlagte Menschen, Freunde der kindlichen Phantasie, werden diese übermäßige Vervollkommnung des Spielzeugs bedauern. Sie werden uns sagen, daß dem kindlichen Sinn jetzt nicht mehr viel zu tun übrig bleibe, aus freiem Schöpfen zu bilden. Bis zu einem gewissen Alter gilt ihr Einwand. Es wird sich auch daran bereichern; selbst auf die Gefahr hin, daß es das technische Spielzeug auf seine Bestandteile hin untersucht und aus den heillos zerlegten Teilen nimmermehr das Ganze zurückverwandeln kann!

Auch soll man den eventuellen Schaden nicht etwa ausschließlich in unserem technischen Zeitalter sehen; denn soweit wir, jedenfalls in Europa, die Geschichte des Spielzeuges zurückverfolgen können, immer werden wir auch auf Wunderwerke der Wirklichkeitsnachahmung stoßen, an denen auch Erwachsene ihre Freude haben können und gehabt haben. In der strengen Zeit der Zünfte, bis ins ausgehende Mittelalter, wo der Drechsler wohl eine Spielfigur etwa schnitzen, aber sich nicht bemalen durfte – dies blieb vielmehr dem Faßmaler vorbehalten – ging manches Ding von Hand zu Hand bis es fertig wurde, um dann ein kleines Abbild von Leben und Wirklichkeit vorzugaukeln. Aus solchen Zeiten meldet schon ein alter Bericht, wie die Drechsler es verstanden, „zur Stillung der Kinder viele artige Docken- und Puppenwerke zu schnitzen und zu drehen, allerley Kling- und Klapperwerke anzufertigen und den Bildern, ja oft vielen zugleich, fast natürliche Bewegungen und Beugungen mit einem einzigen Trieb so schicklich und künstlich beyzubringen, daß auch wohl Erwachsene und Alte selbige nicht ohne Belustigung anschauen.“ Immer ist es einmal die Freude an der Bewegung, dadurch dem Natürlichen nahezukommen, die Freude, an einem vielfach zusammengesetzten Spielzeug vollbringen zu können, was man mit den verschiedenen dabei vereinigten Dingen mit Hilfe der eigenen 2 Hände allein nicht verrichten könnte. Zum anderen die Freude an der Nachahmung, am Modell, die allerdings schon eher vom Kinde im erwachsenen Mann, im Handwerker, ausging. Es gibt eigentlich nichts, was die einzelnen Handwerke im Großen herzustellen hatten, das sie nicht im Kleinen als oft sehr kostspieliges Geschenk und Spielwerk ebenfalls gefertift hätten. In den Trümmern der bereits 1270 zerstörten Osterburg in der Rhön hat man winzige Gefäße und Töpfchen gefunden, die nur aus dem Bestande einer Puppenküche herrühren können. In der altnordischen Sage werden schon nachgebildete Pferdchen aus Messing erwähnt, die ein Sechsjähriger einem Vierjährigen leiht! Also für die damalige Zeit sicherlich wertvoller Tand! Auch das Bewegliche ist sehr alt. Im „Hortus deliciarum“ (Lustgarten), einem bildergeschmückten Kompendium alles Wissenswerten, von der Aebtissin Herrad von Landsperg im 17. Jahrhundert sehen wir, wie adelige Buben mit kleinen Ritterfiguren spielen, die, durch Schnüre beweglich eingerichtet, miteinander fechten können. Hohe Herren, so auch Kaiser Maximilian, ließen es sich etwas kosten, daß ihnen ihre Waffenschmiede getreue Miniaturbilder ihrer ritterlichen Rüstungen anfertigten, die den gelenkigen Holzfiguren angelegt wurden, mit denen man regelrechte Turniere veranstalten konnte. Diese Spielzeuge wurden dann auch befreundeten Häusern zur Unterhaltung der Kinder großzügig geschenkt.

Vom Barock bis weit ins Biedermeier hinein liebte man die Puppenhäuser. Sie waren, von einem zierlichen Garten mit gemalter landschaftlicher Fernsicht angefangen, bis unters Dach hinauf getreu den Wohnräumen mit allem Gerät und den geschnitzten Möbeln nachgebildet. Von dem „noch nie gemachten und gesehenen Puppenhause der Anna Köferlin in Nürnberg” 1631 heißt es: „Wan ich sollt erzählen als / Was darinne zu sehen / dieses Papier wäre gleichfalls / zu wenig.” Natürlich waren diese Häuser auch mit zeitgetreu angezogenen Puppen belebt. Oft war das Ganze gleich in Form eines gediegenen Schrankes gearbeitet. Berühmt waren ja die Augsburger Schränke. Zu besonderen Festen durften die Kinder sich an dem fürstlichen Spielzeug ergötzen, wohlbewacht, daß sie nichts von dem Reichtum verwarfen oder verdarben!

Alles Fahrbare war seit je die Freude der Kinder. Lastwagen der Kaufleute, Galakutsche mit Lakaien, wie die Postkutsche. Schon 1840 gab es auf dem Berliner Weihnachtsmarkt ein Zinnmodell der ersten Lokomotive mit dem götterkühnen Namen „Zeus”.

Die Darstellung des Heilandskindes in der Krippe hat die freundliche Phantasie, die den irdischen Kindern wohl will, aufs reichlichste und künstlerische befruchten helfen; denn man bereicherte an diesem Stoffe in kindlicher Freude die Schar der ursprünglich gegebenen Figuren immer um neue. Anfangs waren es die Hirten, die drei Könige auf fremden Tieren, die den Bildnern in ihrer Unkenntnis oft sonderbar gerieten. Dafür gelangen die heimischen Ochs, Esel und die Schafe umso liebevoller. Soldaten kommen zur Krippe gepilgert. Die Landschaft wurde lieblich erweitert. Hohe Damen und Herren im Zeitkostüm wurden dazu fabuliert; eine barocke Krippendarstellung zeigt springende Brunnen und im Hintergrunde eine ganze Jagdgesellschaft. Auch die in der Gegend jeweils wichtige Zunft stellte ihre Vertreter, z. B. Figuren der Bergleute.

Die Deutschen sind seit je Meister in der Spielzeugherstellung gewesen. Die Haupterzeugnisstätten waren Nürnberg (Nürnberger Tand), Augsburg und Thüringen. Es ist charakteristisch, daß auch in Thüringen neben den lichttragenden Engeln die Figur des Bergmanns als Leuchter auftritt.

Der Nürnberger Tandelmarkt war über ganz Europa berühmt. Ein nach Ägypten in die Sklaverei geratener Mann berichtet 1585, wie er in Kairo mit wehmütigen Gefühlen Nürnberger Spielzeug gesehen habe!

Und was ist da im Laufe der Jahrhunderte nicht alles gehandelt und gefertigt worden! Die Puppen und Zinnsoldaten haben allein ihre eigene Geschichte. Und in allen vermögen wir ein Stück deutscher Kulturgeschichte abzulesen: Ob frommes oder profanes Spielzeug, wie viel sagt es dem Volkskundigen über Trachten, Uniformen, über Brauchtum und Gerät aus. Unermeßlich, wenn man aufzählen wollte, was es da alles zu sehen gab: die Tiere, Bauernhöfe, Wiegepferde, Hampelmänner, Räuchermännchen, die den Dampf aus dem Munde entströmen ließen, wie nur je ein lebendiger Raucher, die Karusselle, Taubenschläge mit pickenden Vögeln, die sich unter lieblicher Spielmelodie bewegten, wenn man eine Kurbel drehte. Bemalt war das alles so recht mit den Farben der Märchen oder der Träume, besonders die Pferde, die mit hauchfeinen Ornamenten überzogen waren. Wunschtiere aus Kinderland.

„In Nürnberg, auf dem Kindleinsmarkt
Da gibt es Sachen gar viele.
Gedrechselt, gebacken, gepappt und geleimt
Für Alte und Junge zum Spiele.”