Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt 129. Jahrgang, Nr. 43, 20. Oktober 1935, S. 1
Ein Beitrag zur Heimatkunde.
Zwischen Jöhstadt und Bärenstein – Weipert steht dicht an der Landesgrenze ein Gasthaus, das den Namen „Weißer Hirsch” führt. Wie der Name entstand? Keiner weiß es. Eine alte Überlieferung erzählt, ein Kohlenbrenner habe einen weißen Hirsch besessen und ihn dem durchreisenden Landesherrn geschenkt. Dafür habe der Köhler dieses Stück Land erhalten.
Das könnte etwa 1650 geschehen sein, denn in diesem Jahre ist Herzog Julius Heinrich von Sachsen auf der Durchreise von Dresden nach Prag in Jöhstadt abgestiegen. Weiteres sagt die Geschichte nicht.
Eine vorhandene Urkunde besagt aber, daß der Gründer des „Weißen Hirsches” Förster Christian Ebert in Jöhstadt gewesen ist. Er war 1657 als „churfürstl. Förster” in Jöhstadt angestellt worden. Seine Bestallungsurkunde war vom Churfürsten Johann Georg dem Anderen (II.) unterschrieben und enthielt eingehende Angaben über seine Pflichten und Rechte als Förster.
Ebert hatte die Tochter des Wildmeisters Wolff 1651 geheiratet. Vom eigenen Vater hatte er das Ebertgut und von der Schwiegermutter deren Haus in Jöhstadt geerbt, war also bereits Besitzer zweier Anwesen.
Ein Gesuch an die Regierung, in dem er um Überlassung des an der Landesgrenze liegenden, als „Stockholz” bezeichneten Waldes ersuchte, wurde genehmigt.
Wollte man der Sage folgen, so könnte aus der Bezeichnung „Stockholz” wohl auf einen von einem Holzkohlenbrenner abgeholzten Waldteil geschlossen werden.
Am 23.3.1662 hat der Oberforst- und Wildmeister Hans Ernst Römer unter Zuziehung der benachbarten Forstbeamten und des Stadtrichters von Jöhstadt die Grenzen des Grundstücks festgelegt. Die Urkunde bezeichnet genau Zahl und Stand der Rainsteine und nennt als Grenze nach zwei Seiten den Conduppelbach und den Bleyensteig-Grenzweg.
Auf diesem Boden hat Ebert eine Gaststätte mit Schmiede errichtet und das Anwesen „Weißer Hirsch” genannt. Erstmalig wird der Name urkundlich 1664 erwähnt, denn in diesem Jahre pachtete Andreas Ries den Gasthof. Auch in späteren Jahren sind solche Verpachtungen nachgewiesen.
Die Frage taucht auf, warum Ebert als staatlicher Förster und Besitzer von 2 Grundstücken in Jöhstadt weitab vom Ort den „Weißen Hirsch” gründete, den er nicht selbst bewirtschaften wollte oder konnte. Möglich ist, daß er die Versorgung seiner Nachkommen sichern wollte. Er selbst stammte aus kinderreicher Familie und besaß bereits 2 Söhne und eine Tochter. Dann waren wohl auch wirtschaftliche Erwägungen dafür maßgebend.
Die böhmische Straße – heute Weiperter Straße genannt – war nach dem 30jährigen Kriege ein Haupthandelsweg zwischen dem sächsischen Hinterland mit seinen wiederauflebenden Bergstädten und dem stark deutsch besiedelten nordböhmischen Gebiet. Der Lastenverkehr mußte dort durch. Einkehrgelegenheiten, Vorspanndienst und Schmiede waren bei dem bergigen Gelände Bedürfnis und versprachen Verdienst. Mit Landwirtschaftsbetrieb war bei dem dürftigen Boden kein Vermögen zu erwerben, denn die Sommer sind kurz, die Winter hart und lang. Aus den Erburkunden ist auch ersichtlich, daß der gehaltene Viehbestand nur auf den Eigenbedarf eingestellt war.
Ebert starb 1686. Erbteilung erfolgte erst 1691. Dabei und auch bei späteren Erbübergängen ist ein Erbbefehl vom 17.5.1670 erwähnt und vorgelegt worden. Erben waren 3 Söhne, die bereits als Förster im Staatsdienst standen, einer davon im Brandenburgischen, und 4 Töchter.
Den „Weißen Hirsch” übernahm die Tochter Anna Sophie, verehelicht mit Theodor Ernesti in Jöhstadt, späteren Pfarrers in Arnsfeld und Grumbach.
Die Witwe Ernesti vererbte den Besitz an ihre Tochter Anna Sophie verehelichte Kempe. Nachfolgerin im Erbgang wurde deren Tochter Rosine verehelichte Augustin. Dann folgte Eleonore geb. Augustin verehelichte Häußler.
Bis dahin waren nur direkte Nachkommen Christian Eberts Besitzer gewesen. 1762 erwarb Johann Andreas Weber aus Kleinrückerswalde die Wirtschaft. Dessen Ehefrau Johanna Concordia geb. Ebert stammte aus einer auf den Vater des Gründers zurückgehenden Seitenlinie. Webers Tochter heiratete einen aus Mähren eingewanderten Deutschen namens Langhammer, dem dann im Erbe noch 2 Generationen Langhammer folgten.
Der Zeitfolge halber sei hier erwähnt, daß der „Weiße Hirsch” nicht zur Gemeinde Jöhstadt gehörte, sondern als weitab vom Orte gelegenes und nicht an ihn grenzendes „Einzelgrundstück” verwaltungsrechtlich dem damaligen Amt Wolkenstein unterstellt war. Erst 1835 kam er an Jöhstadt.
1876 starb der letzte Besitzer aus der vorerwähnten Familie Langhammer. Die Witwe bewirtschaftete den Betrieb noch bis 1883. Dann ging er in fremde Hände über. Der Ehe entstammten 12 Kinder. Wie in vielen Landwirtschaftsbetrieben eine große Kinderschar keine ausreichende Tätigkeit fanden, so auch hier. Das kleine Anwesen gab auf die Dauer nicht allen Arbeit und Raum. Die Älteren suchten frühzeitig anderen Erwerb und die Jüngeren machten es ihnen nach. – Alles ist dem Wandel der Zeiten unterworfen. Auch hier trifft das zu. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gegend wurden allmählich anders. Der Bau der Eisenbahn Chemnitz – Annaberg – Weipert – Komotau, sowie die Anlage neuer Straßen hatten zur Folge, daß der Lastentransportverkehr auf der böhmischen Straße weniger wurde und heute fast völlig verschwunden ist. Einkehrer blieben aus. Zwar fanden bis zum Weltkrieg Ausflügler von sächsischer und böhmischer Seite noch immer ihren Weg dahin, doch sind die seit Kriegsende gespannter gewordenen Grenzverhältnisse nicht ohne Einfluß geblieben.
Gegenwärtig besteht ein einzelnes Gebäude, in dem Gastwirtschaft betrieben wird. Den Besucher grüßt von weitem als Erinnerungsstück aus früherer Zeit ein steinerner Wassertrog, in den klares Bergwasser plätschert und ehemals einige Forellen ihr letztes Dasein fristeten.
Die Grundlage dieser Schilderung bilden eingehende Familienforschungen. Sie rufen die Sehnsucht nach der Heimat und seinen Boden wieder wach.
Weit im Gebirge und anderwärts verstreut sind die Nachkommen der ehemaligen Besitzer.
Darum Ihr lieben Vettern rundum, geht hin und horcht, wie die Heimat im Waldesrauschen uns von alter Zeit erzählt und wie der Conduppelbach mit seinem Murmeln an unsere Väter erinnern will.
A. L.