Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt Nr. 4 / 120. Jahrgang. 30. Januar 1927. S. 1 – 3.
Als der englische Arzt Gilbert um das Jahr 1600 die durch Reibung erzeugte geheimnisvolle Anziehungskraft Elektrizität nannte, ahnte er nicht, welche Bedeutung einmal die damals erst in ihrer sinnfälligsten Erscheinungsart erforschte Naturkraft für die Technik und den Verkehr haben würde. Der Mensch unserer Tage, der an ein tägliches Fortschreiten in der zivilisatorischen Entwicklung gewöhnt ist, hat all die neuen Erfindungen und Ausnützungsarten der Elektrizität, wie sie zuletzt das Radio darstellen, mit einem Gleichmut aufgenommen, der der Nüchternheit unserer Zeit entspricht.
In einem beispiellosen Siegeszug hat sich die Elektrizität alle Gebiete des öffentlichen und privaten Lebens erobert; als rein motorische Kraft hat sie aus Fabrik und Werkstatt die Dampfmaschine verdrängt, machte sie im Verkehr die Zugtiere entbehrlich, als Heilmittel dient sie der Medizin und als allzeit bereiter und arbeitswilliger Freund ist sie in jedem Haushalt als Spenderin von Licht und von Wärme und als zuverlässigste Hilfe der geplagten Hausfrau geschätzt, die sich ihrer zur Erledigung mancher schweren Arbeit bedient. Die modernen amerikanischen Wohnungseinrichtungen ermöglichen mit Hilfe der Elektrizität eine berufliche Tätigkeit beider Ehegatten, da das umständliche Kochen, das Reinemachen, das Geschirrwaschen, das Fensterputzen, die große Wäsche alles von ihr besorgt wird und der Herrin des Hauses nur – das Bett zu machen und für häusliche Annehmlichkeit zu sorgen übrig bleibt.
So mancher Einwohner unserer Stadt, der täglich den elektrischen Strom als Lichtquelle benutzt, hat sich noch keine Gedanken über den Ausbau und die Einrichtung des hiesigen Kabelnetzes gemacht. Zunächst ist die Frage nach der Kraftquelle zu beantworten. Die auswärtigen Kraftstationen, die für unsere Stadt in Frage kommen, sind die beiden Großkraftwerke in Böhlen (in der Nähe von Leipzig) und Hirschfelde (in der Oberlausitz). Das Annaberger Eltwerk erhält seinen Strom über das staatliche Umspannwerk Himmelmühle, das durch das Umspannwerk Chemnitz-Süd mit den beiden genannten Großkraftwerken in Verbindung steht und außerdem an das Kraftwerk Oelsnitz angeschlossen ist. All die genannten großen Kraftstationen stehen in einer sogenannten „Ringverbindung“, die bei Versagen des einen Werkes eine ununterbrochene Stromzuführung durch stärkere Belastung des intakten Werkes ermöglicht.
In einer Stärke von 30 000 Volt kommt nun der Strom von dem Umspannwerk Himmelmühle nach Annaberg, und zwar als Drehstrom, dessen Zuführung in einer 3phasigen Überlandleitung geschieht. Das Eltwerk transformiert nun diesen Strom auf eine Spannung von 3000 Volt herab. Zu diesem Zwecke stehen 5 Transformatoren zur Verfügung, die einen Höchstbedarf von insgesamt 4600 kVA Leistung befriedigen können. Der größte dieser Transformatoren – ein ganz neuer Apparat – leistet 2000 kVA, 2 andere sind auf Abgabe von je 1000 kVA eingerichtet und 2 kleinere geben 500 und 100 kVA ab. Die Transformierung der Spannung geschieht durch Induktionswirkung, indem der von dem Umspannwerk Himmelmühle kommende hochgespannte Strom durch einen von einer Kupferspule umgebenen Eisenkern geleitet und somit in einen Strom mit geringerer Voltspannung und höherer Amperestärke verwandelt wird. Die hierbei im Transformator entstehende große Wärme wird mittels Spezialöles abgekühlt.
Die Schaltanlage des Eltwerkes besteht u. a. aus 7 automatischen Schaltern (einschließlich für die abgehende 30kV-Leitung nach Weipert), die bei einer auftretenden Störung selbsttätig die Stromzuführung unterbrechen und durch ein Aufleuchten einer roten Lampe und Sirenengeräusch den Wachehabenden auf die Stromstörung aufmerksam machen. Tritt z. B. durch Blitzschlag oder Sturm ein Kurzschluß in der Überlandleitung von Himmelmühle ein, so schaltet der betr. Hauptschalter sofort den gesamten Stromkreis aus und verhindert damit ein Zerstören des Umspannwerkes und ein Durchbrennen der Elektromotoren bei einem plötzlichen Wiedereinsetzen der Stromzuführung. Nach 3 Minuten schaltet dann der Wachehabende im Eltwerk den Strom wieder ein. Bleibt die Leitung dann noch spannungslos, so muß eine Störungssuch-Patrouille hinaus, um den Schaden festzustellen und zu beheben.
An die 3000 Voltleitung im Eltwerk ist eine Sammelschiene angeschlossen, die folgende Kabel zur Stadt leitet: Das Stadt-, das sog. Industriekabel, das Kabel Frohnau und das Kabel Hüttenmühle. Zu erwähnen ist noch der sog. Überspannungsschutz, der vor der Sammelschiene angebracht ist, und verhindert, daß höhere Spannungen als 3000 Volt, die durch atmosphärische Einflüsse erzeugt werden, in die Leitungen gehen, indem er solche Überspannungen in die Erde ableitet. Als Schutz für die Arbeiter in der Eltwerksanlage dienen „Trennmesser”, die eine sichere Gewähr für eine völlige Stromfreiheit des Netzes bieten und bei Reparaturen in den Transformatoren benutzt werden. In diesem Zusammenhang sei auf die Reaktion des menschlichen Körpers gegenüber dem elektrischen Strom eingegangen. Jeder Mensch zeigt eine besondere Empfindlichkeit, die berufliche Tätigkeit nicht ändern kann. Eine Gewöhnung an die Wirkungen des elektrischen Stromes, z. B. der Monteure, gibt es nicht. So dürfte im allgemeinen die Berührung einer blanken 39 Volt-Wechselstromleitung ohne sonderliche Schmerzen möglich sein, abgesehen vom unangenehmen Augenblick der Einschaltung des menschlichen Körpers in den Stromkreis; dagegen stellen sich bei sensiblen Menschen bei einem Kontakt mit über 40 Volt Wechselstrom schon krampfartige Erscheinungen ein, während wieder eine andere Konstitution diese Spannung ruhig erträgt. Deshalb ist nach den Vorschriften des Verbandes Deutscher Elektrotechniker das Berühren der Wechselstromleitungen mit über 40 Volt Spannung verboten. Tiere sind ganz besonders empfindlich für den elektrischen Strom. Zur besonderen Vorsicht sei an dieser Stelle gegenüber allen Hochspannungsleitungen gemahnt, da jede Berührung mit einem Zuführungsdraht unvermeidlich den Tod herbeiführen würde.
Vor einiger Zeit wurde der Transformator am Markt unter die Erde verlegt. Damit ist in Annaberg eine Anlage geschaffen, wie sie in keiner gleichgroßen Mittelstadt anzutreffen und wie sie auch erst kürzlich in Leipzig und Dresden eingeführt worden ist. An einer senkrechten steilen Leiter klettert man hinab und wird durch den interessanten Anblick für den besonders beleibten Herren beschwerlichen Turnakt reichlich entschädigt. Die Anlage stellt ein Eltwerk im kleinen dar. Das Hauptkabel, das den Strom in 3000 Volt Spannung von dem Transformator auf dem Fleischerplatz herleitet, mündet links von der Schaltanlage (unteres Bild) in die Station. Die Spannung wird nun auf 220 bezw. 127 Volt transformiert, um dann in die Johannisgasse (Transformator am Karlsplatz), in die Wolkensteiner Straße (Transformator Adam-Ries-Straße), in die Hermannstraße, Große Kirchgasse und Buchholzer Straße (Transformator bei Abzweigung zum Hüttensteig) den Strom zu verteilen. Man erkennt auf den beiden Bildern den Unterschied in der Dicke der Leitungsdrähte. Ein Strom mit höherer Spannung braucht einen dünneren Draht als ein solcher mit niedriger Spannung, wie es aus den dünnen Drähten auf dem unteren Bild (3000 Volt), und den dicken auf dem oberen Bild oberhalb der Schalttafel (220 Volt) ersichtlich ist. Weiter sehen wir auf dem oberen Bilde den Hauptschalthebel für den gesamten Versorgungsbezirk dieses Transformators und im Hintergrund die in die Stadt führenden Kabel.
Annaberg besitzt 24 Kleintransformatoren-Stationen, die durch sogenannte Ringleitungen miteinander verbunden sind. Dadurch wird eine Garantie und ein Schutz gegen ausfallende Transformatoren geschaffen, indem – genau wie im großen Versorgungsgebiet – der nächste intakte Transformator einen ausfallenden Transformator ersetzt. Nur die Überlandgemeinden sind nicht an dieses Ringsystem angeschlossen.
Seit dem Jahre 1916 – in diesem Jahre erfolgte die Berufung des Direktors Frohme nach Annaberg – hat das Eltwerk einen ganz auffallenden Aufstieg zu verzeichnen. Die Stromabgabe ist von 0,9 Mill. auf über 9 Mill. kWh pro Jahr gewachsen. Der Leiter des Werkes, Direktor Frohme, hat es verstanden, durch Aufstellung besonderer Tarife Groß-, Mittel- und Kleinabnehmer zu trennen und für diese ein günstiges Berechnungsmaß aufzustellen. Sein Verdienst ist weiterhin, die Aufstellung des Markttransformators erreicht, sowie diese neuzeitliche Station mit eigenem Montagepersonal ausgebaut und überhaupt den ganzen Betrieb großzügig und weitschauend organisiert zu haben. Diese Großzügigkeit wird von der Stadtverwaltung dadurch unterstützt, daß jährlich erhebliche Mittel einmütig bewilligt werden für Ausbauten der Betriebsanlagen, die jederzeit den modernsten Anforderungen entsprechen müssen. — Der dringendste Zukunftswunsch unseres Annaberger Eltwerkes bleibt nur der Anschluß an eine große Ringleitung, wie z. B. Schwarzenberg sie besitzt. Dadurch wäre es möglich, bei Störungen im Umspannwerk Himmelmühle, die oft vorkommen, Anschluß an eine andere Station zu gewinnen und somit die störenden Stromunterbrechungen zu vermeiden. Die Verhandlungen hierüber mit dem Staat sind im Gange, man kann ihnen nur ein günstiges Ergebnis in der angedeuteten Weise wünschen.