Die Annaberger Straßennamen.

Erzgebirgisches Sonntagsblatt 119. Jahrgang, Nr. 16, 18. April 1926, S. 6

Emil Finck,
* 10. November 1856, † 5. Juli 1922,
Oberlehrer an der 1. Knabenbürgerschule, hat sich durch seine heimatgeschichtlichen Forschungen um Annaberg und das Obererzgebirge hochverdient gemacht. Ausser zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten, von denen ein Teil an dieser Stelle nach und nach veröffentlicht werden soll, ist er der Gründer des Annaberger Altertums-Museums, dessen ständigen Weiterausbau er bis zu seinem Tode mit unendlicher Liebe zur Sache betrieb. Das Museum und seine Schriften bilden ein unvergängliches Denkmal für diesen ideal veranlagten und selbstlos handelnden Heimatfreund.

Der Sinn für Heimatkunde erfährt mancherlei Anregung durch die reizvolle Eigenart der Namen, die einzelne Flurteile, Wege oder Plätze eines Ortes von alters her tragen. Solches Erbgut aus früheren Tagen, das durchaus an die heimische Scholle gebunden ist und als Wahrzeichen derselben gelten könnte vor aller Welt, hat wohl jedes Gemeinwesen aufzuweisen. In den meisten Fällen ist’s vom Volksmunde aus Vorliebe für Kürze und Bestimmtheit in den Redewendungen geprägt worden. Die Folgezeit hat darüber entschieden, was zutreffend und bedeutungsvoll war oder nicht. Was daher als Vermächtnis aus alten Zeitläuften überliefert worden ist, darf unter Umständen wertvollen chronistischen Aufzeichnungen gleichgeachtet werden. Es vermag dem heutigen Geschlecht mancherlei willkommenen Aufschluß zu geben über das Werden und Wachsen der Siedelung, über Lebensverhältnisse und Denkart der Vorfahren, über deren Beziehungen zur Nähe und Ferne, zu Natur und Geisteswelt und dergleichen mehr.

Aber oftmals fällt es ziemlich schwer, das zu ermitteln, was die Namen ursprünglich besagen wollen. Und das ist keineswegs nur bei den allerältesten der Fall. Es ist erstaunlich, wie rasch alles, was nicht greifbar und gewissenhaft abgegrenzt an den Raum gekettet ist, dem verwischenden Einflusse der Zeit verfällt. So ist beispielsweise die volkstümliche Bezeichnung „Kät” für das Annaberger Dreifaltigkeitsfest erweislichermaßen noch keine fünfzig Jahre im Gebrauche, und doch besteht schon ziemlich lange ein Meinungsstreit über die Bedeutung des Wortes, worauf hier jedoch nicht näher eingegangen werden soll. Es liegt sonach für uns ersichtlich ein Bedürfnis vor. Ermittelungen über die heimatkundliche Bedeutung der Annaberger Straßenbenennung anzustellen und deren Ergebnisse für die Folge zu sichern. Damit ist ein Anfang gemacht worden bei der Bearbeitung des Adreßbuches für die Städte Annaberg und Buchholz im Jahre 1906.

Es ist im allgemeinen noch nicht lange Brauch, in den Straßennamen und Flurbezeichnungen volkskundlich und ortsgeschichtlich höchst beachtenswerte Denkmäler zu erblicken, die der Forscher mit freudigem Eifer in das Bereich seiner Betrachtung zieht. Neuerdings sind aber die Bestrebungen für Heimatschutz und für Denkmalspflege mit Eifer darauf gerichtet, ihnen eine Würdigung und schonende Behandlung zu sichern.

Nach dem im Jahre 1906 erschienenen Adreßbuche hat Annaberg im ganzen 125 benannte Straßen, Gassen und Plätze aufzuweisen. Von deren Namen dienen 27 zur Erinnerung an einzelne Personen oder Familien, 49 geben Kunde von dem heimischen Erwerbs- und Verkehrswesen, 38 sind bestimmt worden durch Lage und Beschaffenheit und dienen sonach vorzugsweise zum Zurechtfinden im Orte, die übrigen 11 nehmen Bezug auf stadtgeschichtliche Begebenheiten und Zustände oder waren nicht ausreichend zu bestimmen.

Erste Gruppe.

Als Ehrendenkmäler für einzelne Personen und angesehene Familien kommen also 27 Straßennamen in Betracht. Unter diesen sind 6 voranzustellen, die anderwärts vielfach mit gleicher Berechtigung geführt werden. Die übrigen geben Kunde von durchaus heimischen Beziehungen zu den Gefeierten.

Im Jahre 1889 wurden die Kaiser-Wilhelm-Straße und die König-Albert-Straße benannt zu Ehrenmalen für die beiden kraftvollen Regenten im weitern und im engern Vaterlande, unter deren Regierung sich der wirtschaftliche Aufschwung vollzogen hat, der auch in Annaberg dazu führte, das Stadtgebiet zu erweitern.

Einer recht alten Dankesverpflichtung ist die Stadt nachgekommen, als sie im Jahre 1905 eine neu angelegte Straße zu Ehren des Herzogs Georg benannte. Hätte man früher das Bedürfnis überhaupt erkannt, von amtswegen Straßenzüge zu benennen, und wäre man sich bewußt geworden, wie durch heimatkundliche Betrachtungen die Straßennamen recht wohl die Bedeutung von Denkmälern erlangen könnten, dann würde gewiß die erste und größte Straße Annabergs nach dem Begründer und Vater der Stadt Georg-Straße — oder wohllautender Georgenstraße — genannt worden sein. Im Jahre 1905 erfüllten sich gerade 400 Jahre seit der Errichtung eines selbständigen Stadtregiments in Annaberg durch den allzeit fürsorgenden Landesfürsten. Dieser Umstand gab ganz besonders wieder Veranlassung dazu, seiner in dankbarer Verehrung zu gedenken, nachdem ihm bereits 1897 am „Buchholzer Tore“ ein Denkmal in Stein gesetzt worden ist. Vorläufig ist die nach ihm benannte Straße erst im Ausbau begriffen und dem Durchgangsverkehre noch nicht erschlossen. So kommt auch zunächst der Name noch nicht in dem Sinne zur Geltung, in dem er verliehen ward. Scherzweise nennt der Volksmund die drei dort anstehenden Häuser wegen ihrer dem lauten Leben abgekehrten Lage — „Glaube, Liebe, Hoffnung”.

Auch der Karolinenplatz weist auf das sächsische Fürstenhaus hin, und zwar auf die als stille Wohltäterin verehrte Königin Karola. Die Benennung dürfte im Jahre 1882 erfolgt sein. Um dieselbe Zeit ward hier auch dem Namen dieser Wohltäterin eine Unterstützungsgesellschaft gegründet, die sich’s angelegen sein läßt, verschämter Armut helfend beizustehen.

Seit dem Jahre 1889 trägt eine der schönsten neuen Straßen den Namen des ersten Reichskanzlers Otto von Bismarck. Wie so manche andere deutsche Stadt ernannte ihn auch Annaberg mit Stolz zum Ehrenbürger. Wie nahe er den Herzen der vaterländisch gesinnten Einwohnerschaft gestanden hat, ist daraus ersichtlich, daß diese ihm noch außerdem im Jahre 1900 ein herrliches ehernes Denkmal errichtet hat, das für andere, und zwar viel größere Orte, z. B. Kiel, vorbildlich geworden ist.

Und noch eines andern großen deutschen Mannes Gedächtnis wird auf solche Weise gefeiert. Friedrich von Schiller, dem Lieblingsdichter des deutschen Volkes, ward ein Platz an den Tage zubenannt, an welchem die ganze gebildete Welt seines vor hundert Jahren erfolgten Todes in warmer Verehrung gedachte: am 5. Mai 1905. Der Schillerplatz breitet sich frei und weit zu Füßen des Stadtparks aus und scheint dazu bestimmt zu sein, eine Stätte der Erholung und Belustigung für die Allgemeinheit zu werden.

Barbara Uttmann‘ Wohnhaus
(Rekonstruktion) seit dem 27. August 1871 das Verlagshaus vom Tageblatt „Annaberger Wochenblatt”.

Auch unter denjenigen Personen, die in ihrem Leben besonders nahe Beziehungen zu Annaberg gehabt haben, sind etliche zu ansehnlicher Berühmtheit gelangt, mindestens für die vaterländische Geschichte. Als Andenken an vier derselben besitzt Annaberg einen Barbara-Uttmann-Platz, eine Adam-Ries-Straße, eine Felix-Weiße-Straße und eine Sidonien-Straße. Die Benennung erfolgte in der gegebenen Reihenfolge um 1850 oder in den Jahren 1889, 1897 und 1904.

Im ersten Falle war der Umstand bestimmend, daß man damals gerade ein dort gelegenes Grundstück (Barbara-Uttmann-Platz 2) als Brandstätte von dem Uttmannschen Wohnhause ermittelt zu haben glaubte. Dabei ist allerdings ein Irrtum unterlaufen. Jenes Grundstück ist zwar wie so manche andere im Besitz der wohlhabenden Familie gewesen, aber gewohnt haben Christoph und Barbara Uttmann nachweislich in ihrem am Marktplatze (Nr. 8) gelegenen Hause, das jetzt dem Herausgeber des T. A. W. gehört.

Adam-Ries-Haus
(Rekonstruktion) in der Johannisgasse 23, heute mit Gedenktafel und Büste geschmückt.

Ähnlich steht es um die an zweiter Stelle angeführte Benennung. Als man dem am 30. März 1559 hier verstorbenen Rechenmeister in Anbetracht seines nahe (1892) bevorstehenden 400. Geburtstages eine besondere Ehrung zu erweisen gedachte und nach ihm den innern Teil der „Wiesenbad-Straße” umtaufte, geschah es in Hinsicht darauf, daß unweit dieser — allerdings auf Wiesaer Flurgebiete — die nach ihm volkstümlich benannte „Riesenburg“ gelegen ist. Man war damals der Meinung, in dem Vorwerke, das er 1539 käuflich von seiner Schwägerin Anna Endreßin erwarb, seinen einzigen Besitz und seine ständige Wohnstätte erkennen zu müssen. Bald nachher konnte ich freilich feststellen, daß der als epochemachender Rechenpädagoge viel gefeierte Bergbeamte nicht Riese, sondern Adam Ries geheißen und bereits von 1525 ab ein stattliches Haus inmitten der Stadt (Johannisgasse 23) besessen und auch bis zu seinem Tode bewohnt hat.

(Fortsetzung folgt.)