Die Annaberger Stadtbrände.

Von Lic. Dr. Bönhoff, Dresden.

Erzgebirgisches Sonntagsblatt. 121. Jahrgang. Nr. 37. Sonntag, den 18. September 1927, S. 1 – 2.

„Wohltätig ist des Feuers Macht,
Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht.
Doch wehe, wenn sie losgelassen,
Wachsend ohne Widerstand,

Durch die volksbelebten Gassen
Walzt den ungeheuren Brand!
Durch der Straßen lange Zeile
Wächst es fort mit Windeseile,

Wächst es in des Himmels Höhen
Riesengroß.
Hoffnungslos
Weicht der Mensch der Götterstärke.
Müßig sieht er seine Werke
Und bewundernd untergehen.”

Was hier unser Schiller in den wohlbekannten Versen so treffend sagt, das hat unsere liebe Stadt Annaberg in ihrer Gesamtheit nicht weniger als 5mal erfahren: 3mal im 17., 1mal im 18. und noch 1mal im vorigen Jahrhundert. Es ist nun meine Aufgabe, diese Stadtbrände kurz und den Tatsachen gemäß zu schildern.

(1604.)

107 Jahre hatte die Stadt seit ihrer Gründung gestanden, als mit dem 27. April 1604 der schwerste Unglückstag über sie hereinbrach, den sie überhaupt bis dahin erlebte. Es war an einem Freitage, als in der ersten Nachmittagsstunde beim Uhrmacher David Spindler in der Wolkensteiner Gasse Feuer ausbrach. Man erzählte sich später, seine Frau habe Eier auf Butter aufgeschlagen und törichterweise kaltes Wasser auf die heiße Butter gegossen. Da sei das Feuer aufgefahren, durch die Feuermauer gekommen, und das Dach habe Feuer gefangen. Andere munkelten von Mordbrennern, die Zunder eingeworfen hätten; sie habe späterhin ihre gerechte Strafe in Prag, wo sie verbrannt wurden, ereilt. Andere wiederum erzählten sich, man habe Wochen zuvor Raketen in der Stadt gefunden, und das könne man ganz gut den Papisten zutrauen. Man sieht, es ist allerlei Gerede, wie es in einer kleinen Stadt entsteht, und aus dem sich als Kern allein die traurige Tatsache herausschälen läßt, daß eine grobe Fahrlässigkeit ein so großes Unglück über die ganze Stadt gebracht hat.

Denn bei dem heftigen Winde, der da wehte, nahm das Feuer immer mehr überhand und in fast 8 Stunden lag die ganze Stadt in Asche: das Rathaus, das frühere Franziskanerkloster, die Bergkapelle, die Schule (damals Ecke der Großen Kirchgasse und des oberen Kirchplatzes9, alle öffentlichen oder, wie man damals sagte, „gemeinen” Gebäude sanken in Trümmern, wobei auch alle hier aufbewahrten Bergurkunden, die Annaberg, Schneeberg, Geyer und Buchholz betrafen, der Vernichtung anheimfielen. Fast 700 Häuser wurden eine rasche Beute des gefräßigen Elementes; nur 12, nach anderen gar nur 4 derselben blieben stehen, und zwar waren sie ganz klein und geringe. Gewöhnlich leitet man nach der Volkssage die Bezeichnung der Siebenhäusergasse von dieser Feuersbrunst her. Wie durch ein Wunder seien in dem allgemeinen Feuermeere gerade diese 7 Häuser bewahrt geblieben. Es handelt sich jedoch hier um eine bergmännische Bezeichnung. Es war ein früherer Ortsteil von Kleinrückerswalde, das ehemals so weit reichte, eine kleine bergmännische Ansiedlung: es waren die Häuser „uf den Sifen”. Es handelt sich also um die Gruppe einstiger „Seifenhäuser”, die der gedachten Gasse ihren Namen verlieh.

Auch auf die Annenkirche flogen die Feuerfunken und erhitzten das Kupferdach, das sie damals schmückte. Durch diese Erhitzung geriet das darunter befindliche Sparrenwerk in Brand, und so wurde der obere Teil des Turmes arg beschädigt, das Uhrwerk verdarb, und die vier Glocken samt dem Häuerglöcklein zerschmolzen. Die alte vielfach reparierte Orgel aber wurde durch das darüber befindliche Loch vom Feuer zerstört, während die Kirchenstände, die Kanzel und der Altar wie auch die Sakristeien mit dem Kirchenornate und der Bibliothek, die daselbst aufbewahrt wurden, vom Feuer verschont blieben. Außerhalb der Stadt fielen dem Feuer das Spital mit seinem Gotteshause, das „schöne” Beinhaus mit seinen Totenköpfen und, nicht zu vergessen, die Vogelstange zum Opfer. Was unter den Worten der Arnoldschen Chronik zu verstehen sei: „Die Tore sind dermaßen belästigt gewesen, daß man sich weder aus- noch einwagen dürfen”, habe ich nicht recht einsehen können: war der Andrang an ihnen sehr groß, oder waren sie dermaßen beschädigt, daß ihre Passage sich als lebensgefährlich erwies?

Trotz des unendlich großen Schadens aber ließen sich die Bewohner der Stadt nicht werfen; schon im nächsten Jahre begann man mit dem Aufbau der zerstörten Häuser und Gebäude. Wie auf dem einen Kupfertäfelchen, das man 1607 in den Turmknopf einlegte, zu lesen stand, bauten die Bürger innerhalb dreier Jahre (also bis 1606) 300 Häuser wieder auf, und die Stadt begann im früheren Glanze aufzublühen. Das Rathaus stand bereits im Jahre 1605 wieder, ebenso doe Superintendentur. Zum Wiederaufbau dieser und anderer öffentlichen Gebäude borgte der Rat damals mit kurfürstlicher Gunst 2000 Gulden von dem Zschopauer Ratsherrn Mag. Schmidt auf 6 Jahre, wofür er diesem die Güter der Stadt verpfändete. Auch die Schule erstand wieder wie ein Phönix aus der Asche. Jenisius gibt in seinem Manuskripte die Kosten für diesen Aufbau auf 730 fl. 18 Gr. 7 Pf. an; allein das kann nicht recht stimmen, weil in den Kirchrechnungen von 1604/5 mit 523 fl. 15 gr., 1605/6 mit 391 fl. 16 gr. und 1606/7 mit 208 fl. 20 gr. 3 Posten für die Schule erscheinen, deren Gesamtsumme vielmehr sich auf 1124 fl. 9 gr. beläuft. Hieraus kann man ersehen, daß der Schulbau drei Jahre in Anspruch nahm. Zwei Jahre nach dem Brande baute man schlecht und recht auch die Hospitalkirche samt dem Spitale wieder auf, so daß man 1608 den Knopf auf das Türmlein setzen konnte, während die Bergkapelle bei dem beharrlichen Stocken des Bergwerks wüste stehen blieb, bis sie am 15. Oktober 1614 wiederum in gottesdienstliche Benutzung genommen werden konnte.

Der neue Turmbau der St. Annenkirche vollendete sich im Jahre 1607, und am 16. November dieses Jahres zog man auch die beiden Glocken, die mittlere und die kleinere, hinauf, die der Dresdener Glockengießer Johann Hilliger 1604 gegossen hatte. Beide wiesen mit ihren Sprüchen auf das schwere Erlebnis hin, auf dessen religiöse Würdigung — wir am Ende dieser Darstellung werden zu sprechen kommen. Denn die erste von ihnen trug den Spruch:

„Herr, sei mir gnädig; denn ich bin schwach,
Heile mich, Herr; denn meine Gebeine sind erschrocken.”

Die andere zeigte die Bußworte:

„Ach, Herr, strafe mich nicht in deinem Zorne
und züchtige mich nicht in deinem Grimme!”

Erst am 23. Juni 1614 konnte sich ihnen die neue große Glocke zugesellen, die 1613 ebenfalls in Hilligers Werkstatt entstand. Nur eine einzige Ruine blieb als stummer Zeuge jenes Unglückstages, des ersten und größten Stadtbrandes, den unser Annaberg erlebte: es ist die des Klosters und seiner Kirche. Noch heute stehen im Garten der hiesigen Amtshauptmannschaft die Reste der Klosterbasilika und gemahnen uns ernst daran, wie flüchtig und nichtig Menschenwerk ist.

(1630.)

Es sollte noch nicht ein Menschenalter seit dem Brande vergehen, und bereits zum zweiten Male traf unsere liebe Stadt ein großes Unglück durch Feuersnot. Es war wieder ein Freitag, an dem es ausbrach: der beginnende 20. November 1630 brachte neues Elend über die Gemeinde, die sich kaum erholt hatte. Gewöhnlich wird der 19. November als der „dies ater” angegeben; allein es war um 1 Uhr nachts, also war der 20. November schon angebrochen, und in der „memoria chronologica fatorum urbis metallicae Annaebergae” (in der Zeittafel der Geschicke der Bergstadt Annaberg), die der Rektor M. Johannes Vogelhaupt 1665 in den Knopf des Rathaustürmchems einlegen ließ, heißt es in dem einen Distichon:

VICeno soLe ast ILLIVsCesCente noVeMbrIs
pars Annae nostrae CVLtIor Vsta perlt.1

(Aber als das Tageslicht des 20. Novembers zu leuchten begann, sank der bessere Teil unseres Annabergs in Asche). Dies bestätigt auch die Meyersche Chronik.

Der Entstehungsort des Schadenfeuers war diesmal das Haus des Bergschmieds Hans Müller, den der Volksmund „Eitelböse” nannte. Infolge des großen, scharfen Windes nahm das Feuer rasch überhand, und rasend geschwind pflanzte es sich fort, zumal die erschreckten Bewohner im ersten Schlafe lagen. Der anbrechende Morgen des unwirtlichen Wintertages sah die Stadt, wenigstens zum größten Teil, als einen rauchenden Schutthaufen: Rathaus, Superintendentur, Bergkirche und andere öffentliche Gebäude, sowie 370, genauer 373 Häuser mit ihren Getreideböden und Kramläden lagen in Trümmern. Kirche und schule waren diesmal unversehrt geblieben, ebenso die obere Stadt.

Es war ein harter Schlag, den jedoch wiederum der Fleiß, die Rührigkeit und die Geduld der Bürger überwand, unterstützt von der Freigebigkeit des Landesfürsten, der jedwede Steuer der schwer betroffenen Stadt erließ. Es war eine böse Zeit, es war diejenige Periode des 30jährigen Krieges, deren Folgen für unser Gemeinwesen mit Krankheiten und Teuerung, Brandschatzung und Kontributionen, Einquartierung und Plünderung so nachteilig und niederdrückend waren. Nehmen wir noch hinzu die Münzverschlechterung, das Kipper- und Wipperwesen, so werden wir die ganze Schwere des Unglücks und seiner Nachwirkungen ermessen können. Wir verstehen, daß bei der Interzession der Gräfin von Hauenstein, Elisabeth Schlick, beim General Holck am 20. August 1632 der kürzlich erlittene Brandschaden eine große Rolle spielte – Christian Lehmann, der bekannte erzgebirgische Geschichtsschreiber, spricht von der „Bete vor die abgebrannte Stadt” – und ein gewichtiges Motiv zu einer milderen Behandlung der Stadt für den feindlichen Feldherrn abgab. Wir sehen auch daraus, daß der Wiederaufbau langsamer von statten gegangen war. Erst im Mai 1631 hatte man das Rathaus wieder angefangen zu bauen, und am 28. August 1633 war schließlich die kupferne Bedachung des Turmes auf demselben vollendet. Bei der Superintendentur hob man am 4. August 1631 das Sparrenwerk des Daches, während in der Bergkirche diesmal nur die Orgel, das Gestühl, die Emporen zu ersetzen waren.

Auh hier hatte der Brand die segensreiche Folge, daß man durch die fürchterliche Ausdehnung des Feuers auf die große Unzulänglichkeit der damaligen Löschgeräte aufmerksam werden mußte. Man kannte zu jener Zeit noch nicht eine Feuerspritze; die wenigen hier und da in der Stadt aufgestellten Wasserbottiche standen wohl auch, wenn es hochkam, auf Kuven, um die bei Bedarf durch vorgespannte Pferde in die Nähe des Brandplatzes schleifen zu können. Ihren Inhalt schöpfte man mit Feuereimern, den einzigen Löschutensilien jener Tage, bald aus, so daß, nahm der Brand größere Dimensionen an, das Löschen aufhören mußte, ehe man überhaupt auf den Brandherd eingewirkt hatte. Im ersten Viertel dieses für Annaberg so bedrängnisvollen Jahrhunderts war nun die Feuerspritze erfunden worden, die in dieser Richtung energische Abhilfe zu bringen vermochte. War sie auch noch sehr plump und ziemlich unvollkommen, so war doch ihr Nutzen unberechenbar, und unsere Stadt schaffte sich 1653, nachdem am 19. August 1647 in der Wolkensteiner Gasse 14 Häuser mit einem Male weggebrannt waren, zwei dieser neuen, allgemein angestaunten Maschinen an. Ihre Verwendung und eventuelle Bewährung bei einem Brande sollte leider schon nach einem Jahrzehnte in Kraft treten.

(Fortsetzung folgt.)

  1. Die lateinischen Zahlbuchstaben (1 x M, 4 x C, 4 x L, 5 x V, 5 x I) ergeben 1000+400+200+25+5=1630. ↩︎