Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt 127. Jahrgang, Nr. 52, 24. Dezember 1933, S. 7
Von Konrad Baumann.
Deutsche Weihnacht – – welche Vielfältigkeit wundervoller Bräuche in den verschiedenen deutschen Landschaften und Städten! Vom friesischen „Sunneklaas” und Hamburger Dom, vom rheinischen „Sinter Klos” und mitteldeutschen „Knecht Ruprecht” bis zum erzgebirgischen „Bornkinnel”, von den Berchtesgadner „Budenmandeln” und den Münchner „Krippenmarkt” bis zu den oberbayrischen Klöpflesnächten und Sternsingern am Dreikönigstag erwachen sie allweihnachtlich zu volkstümlichem Leben.
In Sankt Thomas zu Leipzig, der weltberühmten Kirche, an deren Orgel einst Johann Sebastian Bach saß und wo heute die Thomaner, als der beste deutsche Knabenkirchenchor, singen, wird zur traditionellen Weihnachtsmotette am Heiligabend das älteste deutsche Kindelwieglied gesungen, dessen Handschrift aus dem Jahre 1305 die Kirche besitzt: „Joseph, lieber Joseph mein, hilf mir wiegen mein Kindelein …” (Tonsatz von Bodenschatz, 1608.)
In den katholischen Landen werden in der Weihnachtszeit in Domen, Kapellen und Klosterkirchen die frommen Weihnachtskrippen am Altar aufgebaut, die Darstellung der Krippengeburt unterm Weihnachtsstern. Die älteste dieser Krippen besitzt der Dom zu Freising. Sie stammt aus dem Jahre 1480.
Eine kostbare Sehenswürdigkeit besitzt der Mathematisch-Physikalische Salon in Dresden in der berühmten Krippenuhr, die von dem Augsburger Meister Hans Schlottheim vermutlich im Jahre 1585 in Dresden hergestellt wurde. Sie wurde von der prachtliebenden Prinzessin Sophie von Brandenburg ihrem Gemahl Christian I. von Sachsen als Weihnachtsgeschenk überreicht. In dem Meisterwerk ist die ganze Schöpfungsgeschichte mechanisch verkörpert. Wenn die Triebwerke der Uhr in Gang gesetzt werden, spielt sich das Wunder von Bethlehem ab. Bei seinem Orgelspiel öffnet sich beim Liede „Vom Himmel hoch, da komm ich her” der Himmel, aus dem, die Hand zum Segen erhebend, der Herrgott heraustritt. Es schweben drei Engel aus dem Himmel herab und dann beginnt das Weihnachtsspiel auf der Plattform der Krippenuhr. Es kommen die Könige aus dem Morgenlande und die Hirten und verneigen sich vor dem Kindlein in der Wiege. Joseph und Maria sehen der Huldigung feierlich zu. Beim Erklingen des Liedes „O Joseph, lieber Joseph mein” bringt Joseph die Wiege mit dem Christuskind zum Schaukeln, während die Tiere im Stall zu Bethlehem so lange herumspringen, bis mit dem Verstummen des Liedes das Triebwerk der Uhr abgelaufen ist.
Sachsen, das Weihnachtsland, ist auch das Land der leckeren Weihnachtsstollen. Im Erzgebirge werden sie dem „Heiligohmdlied” gemäß möglichst so „lang als wie de Ufnbank” gebacken; im allgemeinen haben sie ein Gewicht von 4 bis 6 Pfund. Ihre eigenartige aufgerissene längliche Form wird mit dem in Windeln gewickelten Jesusknäblein in Verbindung gebracht. Die Geschichte der Weihnachtsstollen reicht bis zum Jahre 1329 zurück, wo einem Bamberger Bischof am Weihnachtsheiligabend von der Bäckerzunft zwei lange Weizenbrote, sogenannte Stollen, für ein verliehenes Privileg geliefert werden mußten.
Im schlesischen Goldbergbaustädtchen Goldberg wird seit dreieinhalb Jahrhunderten die Christnacht unter freiem Himmel mit dem Lied eingesungen: „Gelobt seist Du Jesus Christ, daß Du Mensch geboren bist ….” Eine Historie aus mittelalterlicher Pestzeit findet damit allweihnachtlich Gedenken. Damals trat einer der wenigen überlebende Bürger um die Stunde der Weihnachtsmette aus seinem Haus am Markt und sang dieses Lied.