Die Annaberger Straßennamen.

Erzgebirgisches Sonntagsblatt 119. Jahrgang, Nr. 22, 30. Mai 1926, S. 6

Heimatkundliche Plauderei von Emil Finck.

(Fortsetzung.)

Den Verkehrsmittelpunkt Annabergs bildet unstreitig der Markt (früher „Marktplatz” geheißen) als Knotenpunkt der geschäftlich belebten Hauptstraßen, wie auch als wesentlichste Stätte für die Wochen- und Jahrmärkte. Die kurze Marktgasse darf als Abzweigung desselben betrachtet werden. Für den Fernverkehr aber kommt seit 1866 der Bahnhof in Betracht, der anfänglich die Endstation der Chemnitz—Annaberger Staatseisenbahn bildete, später aber auch Ausgangspunkt für die Linien nach Weipert und nach Schwarzenberg—Werdau, ja gewissermaßen auch nach Crottendorf, Stollberg und Geyer geworden ist. Die Bahnhofsstraße und die Poststraße, sowie der abkürzende Bahnhofssteig, wurden gleichzeitig mit ihm (1865) fertiggestellt. Der Name Am Einschnitt dient als Platzbezeichnung für ein Bahnwärterhaus an der talabwärts führenden Strecke.

Die wenigen Namen, die auf andere Ortschaften hinweisen, sind: Buchholzer und Chemnitzer Straße, Frohnauer Gasse und Frohnauer Kirchsteig, Geyersdorfer, Kleinrückerswalder, Königswalder und Wiesaer Straße, Wolkensteiner Straße und Obere Wolkensteiner Gasse. Dem Sinne nach gehört hierher noch die Böhmische Gasse, und schließlich dürfen auch die Feldgasse, sowie die Wiesenstraße am zweckmäßigsten gleich mit angereiht werden.

Bei der staatlichen „Chemnitzer Straße” besteht ein Gegensatz zwischen amtlicher Bezeichnung und volkstümlicher Benennung. Der gebräuchlichere Name ist sicher „Schönfelder Straße”, und vielen Annabergern ist sie, wie sich leicht feststellen ließ, überhaupt nur als solche bekannt. Von ihr ganz abgesehen, beziehen sich die vorstehenden Namen nur auf zwei Städte und fünf Dörfer. Die letzteren begrenzen von jeher mit ihren Fluren unmittelbar das Annaberger Stadtgebiet und sind wegen des bestehenden Warenaustausches und einer regen Arbeitsverbindlichkeit als Vororte Annabergs im engsten Sinne zu betrachten. In noch verstärktem Maße gilt das für die Stadt Buchholz. Die unmittelbare Nachbarschaft beider Städte besteht zwar erst seit dem Jahre 1872, aber seitdem ist ein unverkennbarer Trieb nach Verschmelzung beider zu einem einheitlichen Industrieort ersichtlich, wennschon hin und wieder einmal kleinliche Eifersucht das vorteilhafte Einvernehmen zu stören sucht, weil ja vor langen Zeiten (bis 1547) die Grenzpfähle der beiden sächsischen Länder trennend zwischen ihnen gestanden haben. Das lebhafteste Zeugnis des bedeutenden wechselseitigen Verkehrs ist die Buchholzer Straße mit dem überaus regen Leben und Treiben, das sie beherrscht.

Nur Wolkenstein liegt etwas weiter ab. Aber es war von alters her Sitz eines Justizamtes, dessen Zuständigkeitsgebiet in mancherlei Hinsicht bis in die Annaberger Gegend reichte, bevor hier (1856) ein eigenes Bezirksgericht mit Gerichtsamt errichtet wurde. Auch für den Verkehr kam es sehr wesentlich in Betracht, weil es als nächste Stadt nach Freiberg und Dresden zu an der alten, wichtigen Poststraße lag, die das Vogtland mit Schlesien verband. Es wäre jedoch ein Irrtum, wenn man angesichts der zwei Benennungen annehmen wollte, daß zwei Straßenzüge für den Verkehr nach Wolkenstein gedient hätten. Die Bezeichnung „Obere Wolkensteiner Gasse” hat eine solche Bedeutung keinesfalls haben können, sondern sollte jedenfalls nur zur örtlichen Platzbestimmung in dem Sinne dienen: „Ob der Wolkensteiner Gasse gelegen”.

Auf drei der genannten Orte wiesen auch die Bezeichnungen der alten Stadttore hin: das Buchholzer, das Frohnauer und das Wolkensteiner Tor. Die anderen beiden waren das Mühltor, vor dem die „Herrenmühle” gelegen war, und das Böhmische Tor. Vor diesem liegt die Böhmische Gasse. Die beiden übereinstimmenden Namen sprechen dafür, wie sehr Annaberg früher besonders auf die Zufuhr von Nahrungsmitteln aus dem nahen, fruchtreichen Böhmerlande angewiesen gewesen ist. Für den Weg, der jetzt so heißt, ist der Name zwar noch ziemlich neu, aber nicht für die Stadt überhaupt. Bereits wenige Jahre nach deren Gründung kommt er wiederholt in gerichtlichen Verschreibungen vor. Ebenso der Name „Caadenergasse”.

Dritte Gruppe.

Das Zurechtfinden wird in jedwedem Ort durch augenfällige Wahrzeichen baulicher oder natürlicher Art wesentlich erleichtert. Es ist daher für den Verkehr durchaus förderlich und überall Brauch, hervorragende Gebäude und sonstige unverkennbare Anlagen, wie auch Bodengliederung, Lageverhältnisse oder Wasserläufe in der Straßenbenennung mitsprechen zu lassen. Solche Beziehungen weisen in Annaberg im ganzen 38 Namen auf.

Das eindrucksvollste und kostbarste Wahrzeichen besitzt die Stadt in ihrer wunderherrlichen St. Annenkirche. Deren weit ausschauender, massiger Turm und die Riesenmaße des Hauses selbst bestimmen vornehmlich das Stadtbild, aber noch erhöhte Anziehungskraft ist dem künstlerisch reich und glanzvoll ausgestatteten Innenraum eigen. Das macht das Gebäude zu einem ausgezeichneten Richtmale. Und so sind denn auch zwei an dessen Längsseite liegende Plätze, zwei an den Querseiten vorbeiführende stattliche Straßenzüge und ein in der Nähe ausmündendes Gäßchen nach der „Hauptkirche” benannt worden: der Untere und der Obere Kirchplatz, die Große und die Kleine Kirchgasse, sowie der Kirchberg. Auch die Pfarrgasse wird man unbedingt in der Nähe suchen dürfen.

Bevor im Jahre 1507 der neue Friedhof vor dem Wolkensteiner Tor angelegt ward, haben die beiden Kirchplätze als Gottesacker Verwendung gefunden. Im oberen von beiden sind noch im Sommer 1908, als dessen Einebnung erfolgte, eine Anzahl unberührter Gräber aufgedeckt worden. Den unteren hat man jedoch bereits 1548 abgegraben, um ihn nach erfolgter Pflasterung zum „Brotmarkt” zu bestimmen. Auf ihm wurden gelegentlich auch an Sonntagen im Anschluß an den Hauptgottesdienst dem Volke fürstliche Befehle verkündet und sonstige wichtige Kundgebungen vorgelesen. Wie lange Brotkauf und Ausruf dort gepflegt worden sind, ist nicht hinreichend bekannt. Jedenfalls war beides in Vergessenheit geraten, als 1879 die Namenschilder mit der jetzt gültigen Benennung angeschlagen wurden.

Die beiläufig erwähnte Pfarrgasse führt ihren Namen nach der ehemaligen Dienstwohnung des Archidiakonus, an deren Stelle 1837 das Bürgerschulgebäude am Oberen Kirchplatz erbaut worden ist. Der anliegende Pfarrgarten wurde damals in einen öffentlichen Platz umgewandelt, der die Bezeichnung „Neumarkt” erhielt.

Zu den kirchlichen Gebäuden zählen wir noch das Franziskanerkloster, das Herzog Georg 1502 – 1512 auf eigene Kosten erbauen ließ, und endlich auch das Trinitatishospital, das gleichfalls als eine Stiftung des väterlich um die Wohlfahrt in der jungen Stadt besorgten Landesfürsten entstanden ist. Nach ihnen sind einerseits der Klosterberg, die Klosterstraße, die Franziskanergasse und die Magazingasse, anderseits die Hospitalstraße benannt worden.

Das Kloster, von dem jetzt nur noch ein unscheinlicher Rest des Kirchgemäuers im Bereich der Amtshauptmannschaft zu sehen ist, mag ehedem ein gar stattlicher und sehenswerter Bau gewesen sein. Hoch ragt das Häuserviereck aus dem Stadtbild heraus, das M. Paulus Jenisius in seiner Historia Annaebergae 1605 vom ausgehenden 16. Jahrhundert überliefert hat. Von der kunstreichen Gediegenheit der inneren Ausstattung aber zeugen beredt einige noch vorhandene Bildwerke. Ein solches ist die 1512 entstandene und 1577 in die Hauptkirche übertragene „schöne Pforte” mit der heiligen Dreifaltigkeit und den Zeichen der erlösenden Gnade im Bild. Ein anderes, nicht minder kostbares Andenken, besitzt seit 1594 die Kirche zu Buchholz in den Gemälden von dem Flügelaltar des Klosters, die dort nunmehr den Altarraum schmücken. Die drei Ordensgebäude waren, einen Hof einschließend, mit der Kirche verbunden, erhoben sich wie diese zur Höhe von vier durchgehenden Geschossen und trugen steile Spitzdächer. Das nachträglich (1518) errichtete ansehnliche Abthaus stand jenseits der Straße (an Stelle des derzeitigen erweiterten Postamtes), war jedoch mit der Kirche durch einen gewölbten Brückengang gleichfalls in Verbindung gesetzt.

(Fortsetzung folgt.)