Bäume, die Deutschlands Geschichte miterlebten.

Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt 132. Jahrgang Nr. 12 vom 19. März 1939. S. 1 – 2.

Die Eichen sind das Sinnbild der Kraft und der Stärke, und nicht umsonst ist es in Deutschland Sitte, Kränze aus dem Laub des urdeutschen Baumes jenen zu flechten, die sich in den männlichen Tugenden des Mutes und der Tapferkeit besonders hervorgetan haben. Es ist immer ein stolzes Gefühl, durch einen Eichenwald zu wandern, dessen knorrige Äste sich weithin schützend über den Boden breiten und in dessen Laub es rauscht und raunt wie ein Märchen aus längst vergangenen Zeiten. Hundert, fünfhundert, ja oft tausend Jahre sind diese Recken alt, und wenn wir ihre tiefen Runen entziffern könnten, würden sie uns so manches Kapitel aus stürmischen Zeitläuften der deutschen Geschichte erzählen. Solche Gedanken empfindet man, wenn man durch den Eichenhain von Ivenack in Mecklenburg wandert, in dem wahre Baumriesen die Bewunderung des naturfrohen Wanderers erregen. Hier finden wir nach den neuesten Feststellungen der Dendrologen die stärkste Eiche überhaupt, die es in Deutschland gibt. Sie hat einen Stammumfang von 12 Meter und eine Höhe von 31 Meter, während ihr Alter auf rund 1300 Jahre geschätzt wird.

Diese Eiche ist jedoch noch lange nicht der älteste oder mächtigste Baum auf unserer Heimaterde. Dieser Ruhm gebührt zweifellos einigen Eiben im Teutoburger Wald, die schon zur Römerzeit, als der Cheruskerfürst gegen die Übermacht eines Feindes siegte, gestanden haben mögen. Deutschland, das zu einem Viertel von Wald bedeckt ist, hat noch mehr solche Methusalems seiner Pflanzenwelt aufzuweisen. So wird ebenfalls die Eibe, die sich in der Nähe des Dorfes Krombach bei Zwickau als ein prachtvolles Naturdenkmal erhebt, auf 2000 Jahre geschätzt, eine andere, die in der Gegend von Hermsdorf steht, bringt es dagegen nur auf 1400 Jahre. Deutschlands größte Eibenwälder befinden sich auf dem Eichsfelde und im Werratal südlich von Göttingen, das Alter dieser Bäume dürfte nicht mehr als einige hundert Jahre betragen.

Einen breiten Platz in der deutschen Volkssage nimmt die vielbesungene Linde ein, mit der sich die Vorstellung der immerwährenden Treue und des langen Lebens verknüpft. Eine Sehenswürdigkeit bildet unter diesen Bäumen die tausendjährige Linde von Effelsteich, die über einen ganzen Wirtsgarten ihr Blätterdach breitet, während ein Konkurrent an Alter und Mächtigkeit am Haidstein in der Bayerischen Ostmark steht, der den staunenswerten Stammumfang von 16 Meter besitzt. Dieser Riese könnte sogar als menschliche Wohnung dienen, denn nicht weniger als 16 Personen haben in dem Hohlraum seines Stammes Platz. Eine andere Linde, die das Wahrzeichen der Stadt Lichtenfels bildet, wird auf 1400 Jahre geschätzt. Sie ist zum Teil bereits abgestorben, aber einige Äste treiben Jahr für Jahr immer noch Blätter und Blüten, die von der Bevölkerung aufs sorgfältigste geschützt werden.

Sehen wir uns nun einmal bei den Buchen um! Die stärkste unter ihnen ist, wie nunmehr einwandfrei erwiesen werden konnte, die Buche von Klein-Gievitz in Mecklenburg. Ihr Stammesumfang beträgt 9,60 Meter. An zweiter Stelle sei die 25 Meter hohe „Frühstücksbuche” von Holzminden genannt, die ihre eigenartige Bezeichnung deswegen erhalten hat, weil auf ihren mächtigen Ästen Tische und Bänke angebracht sind, zu denen man durch eine hohe Leiter gelangen kann, wenn man Lust hat, sich mitten im grünen Blätterdach bewirten zu lassen.

Der erste Baum, der sich nach der Eiszeit in Mitteleuropa einfand, war nicht die Eiche, wie vielfach irrtümlich angenommen wird, sondern die Kiefer, die aus Asien in unsere Breiten gewandert kam. Sie ist ein schlanker, ranker Baum, der sich auch mit dem dürftigsten Boden zufrieden gibt. Deswegen wird er aber auch nicht so alt wie andere Waldbäume, hundertjährige Greise zählen in dieser Familie schon zu großen Seltenheiten. Nun, in Pößneck in Thüringen kann man eine Kiefer bewundern, die schon zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges ihre Äste reckte. Ihr Alter wird auf gut 300 Jahre geschätzt.

Ein Jahrhundert älter ist die Riesentanne zu Ebern im Hangau, die mit ihrer Höhe von 50 Meter und ihrem Stammumfange von 5 Meter allen Beschauern einen gewaltigen Eindruck macht. Diese Veteranin des Waldes ist freilich schon so gebrechlich, daß sie nur durch künstliche Untermauerung am Leben erhalten werden kann. Wird sie der Sturm trotzdem eines Tages knicken, dann gibt es Holz in Hülle und Fülle. Wären zu den Baumgreisen in Deutschland noch zu zählen die 300 Jahre alte und 25 Meter hohe Libanonzeder von Weinheim an der Bergstraße und der etwa 350 Jahre alte und 15 Meter hohe Birnbaum von Wohlersdorf in Thüringen, der freilich längst keine Früchte mehr trägt, sich aber wegen seines ehrwürdigen Aussehens ebenfalls, wie alle anderen Methusalems im Baumreich, des staatlichen Schutzes erfreut.

Wie alt können Bäume überhaupt werden? Nun, man weiß, daß es in Kalifornien und Brasilien Mammutbäume gibt, die bis zu 5000 Jahresringe aufweisen, also schon vorgeschichtlichen Datums sind, das Alter der „Zypresse des Montezuma” in Mexiko wurde einwandfrei mit 6000 Jahren berechnet, und erst jüngst ging die Mitteilung durch die Presse, daß am Fuße des Tamborine-Berges in Queensland (Australien) eine Palme steht, die die Naturwissenschaftler als das älteste lebende Wesen der Erde bezeichnen, soll sich diese Pflanze doch schon seit über 10.000 Jahren ihres Daseins erfreuen. Wenn die Richtigkeit dieser Meldung auch angezweifelt werden mag, so genügt die Tatsache von vorgeschichtlichen Pflanzen, die heute noch in der Erde wurzeln, allein schon, um mit Ehrfurcht und Bewunderung zu der Allmutter Natur aufzublicken, deren letzte Geheimnisse der Mensch wohl nie zu ergründen vermag.