Annaberger Künstler um 1500.

Erzgebirgisches Sonntagsblatt 119. Jahrgang, Nr. 28, 11. Juli 1926, S. 1

Von Dr. Stohmann

(Fortsetzung.)

Hans von Köln: Das Abendmahl, Ehrenfriedersdorf

Ganz auf dem Boden der neuen charakterisierenden Kunst steht nun der Meister Hans von Köln, der im Annaberger Bezirk ein gewaltiges Werk schuf: die Flügelgemälde des Altars von Ehrenfriedersdorf. Auch über dieses Meisters Lebensumstände wissen wir wenig. Der Ortsname „Köln“ gibt keinerlei Aufschluß. Es kann Köln am Rhein, ebenso gut aber auch Kölln bei Meißen oder Colin in Böhmen gemeint sein. Von etwa 1500-1510 lebte der Meister in Chemnitz, wo er wahrscheinlich die großartigen Flügelaltargemälde der Jakobikirche (Darstellung der Heiligen Petrus, Franciskus, Bartholomäus und Ulrich) geschaffen hat. Auch er scheint seinen Lebensabend in Annaberg verbracht zu haben, doch kann ihm von den Gemälden der Annenkirche keines mit Sicherheit zugesprochen werden. Wenden wir uns nun den Ehrenfriedersdorfer Gemälden zu! Der Altar zeigt zwei Gemäldereihen zu je vier Bildern: die erste Wandlung (bei einfacher Schließung der Altarflügel) läßt vier Passionsszenen sehen, das Abendmahl, Christus am Oelberg, Christi Gefangennahme, Christus vor Kaiphas. Die zweie Wandlung (bei zweifacher Schließung der Flügel) zeigt in mächtigen Einzelfiguren die vier Schutzheiligen der Kirche. Beim „Abendmahl“ (siehe Bild) sitzt Christus mit seinen Jüngern um den weißgedeckten runden Tisch. Die Bedeutung seiner Person wird in naiver Weise betont durch unverhältnismäßige Größe seiner Gestalt. Die Größe ist den deutschen Malern um 1500 noch durchaus ein Mittel zur Charakterisierung. Auch Grünewald hat auf seinem berühmten Kreuzigungsbilde den Körper des Herrn größer gezeichnet als die neben dem Kreuz stehenden Personen. Von letzteren ist die am Stamm knieende Magdalena wieder kleiner gehalten, da ihre Bedeutung geringer ist als die der Maria, des Jüngers Johannes und des Täufers. Meister Hans von Köln wendet also die Formensprache seiner Zeit durchaus korrekt an, wenn er Christus vergrößert. Damit dies nicht störend wirkt, hat der Künstler den Herrn unter einem Baldachin sitzend gemalt. Hinter ihm hängt der blumengemusterte Wandteppich, dessen breite Goldbordüren das Haupt Christi beiderseitig von der Tafelrunde trennen. Im übrigen hat der Künstler die verschiedene Lage der Gegenstände im Raum mit allen Mitteln der Perspektive vorgetäuscht: Die Öffnungen der Gefäße und der Rand der Zinnschüssel mit dem Osterlamm sind elliptisch gezeichnet, die Fliesen des Fußbodens, die spitzbogigen Türen und die Kassetten der Decke geben die Illusion eines kapellenartigen Innenraumes.

Christus hält in der Rechten das Brot, während er mit der Linken fast krampfhaft den nachdenklich ruhenden Johannes an seine Brust drückt. Sein Blick ist leer in tiefster Trauer: „Einer unter euch wird mich verraten“. Die zunächst Sitzenden reagieren auf dieses Wort mit individuell verschiedenen Gesten: einer hat die Hände abwehrend erhoben, ein anderer gekreuzt; ein Greisenantlitz blickt schmerzlich, während sein Nachbar mit vorgehaltener Hand eine flüsternde Frage stellt; ein anderer starrt erschrocken mit offenem Munde, wieder andere falten die Hände.

Eine Gruppe für sich bilden im Vordergrund Judas und seine beiden Nachbarn. Der Greis zur Rechten leert eben sein Glas und hat darüber die Worte des Herrn überhört; der Nachbar zur Linken blickt fragend auf Judas, welcher mit einer Lüge antwortet, die als kleiner schwarzer Teufel vor seinem Gesicht steht. Der Leib des Judas ist schlangenartig gekrümmt. Seine Linke liegt unter dem Tisch auf dem Knie und hält einen Geldbeutel umfaßt.

Prächtig ist die Farbwirkung des Bildes: Judas, mit schwarzem Haupthaar und Spitzbart, ist in ein gelbgrünes Gewand gekleidet. Sein dunkelhaariger Nachbar zur Linken trägt ein feines, gelblichrot gemustertes Kleid, der trinkende Nachbar zur Rechten hat ein blaues Gewand und einen roten Mantel. Von dieser Hauptgruppe des Vordergrundes führen zwei markante grüne Streifen in der Tischdecke geradewegs zu Christus, der Hauptperson des Hintergrundes, die sich in ihrem schlichten rötlich-grauen Gewand kräftig von der dunklen Umgebung abhebt.

Am unteren Rand ist in einem Kreis die Mannalese der Kinder Israel dargestellt, als der beim Abendmahl entsprechende Vorgang in der Heilsgeschichte des alten Bundes. Von gleicher künstlerischer Qualität sind auch die übrigen Gemälde des Altarwerkes von Ehrenfriedersdorf.

Diese Kunst zeigt bodenständige Eigenart. Man hat zwar geglaubt, den Einfluß der fränkischen Schule des 15. Jahrhunderts feststellen zu müssen, weil der Nürnberger Meister Michael Wolgemuth 1479 den Marienaltar zu Zwickau gemalt und auf viele sächsische Maler eingewirkt hat. Indessen der Meister von Ehrenfriedersdorf ist nicht von ihm abhängig. Wie schematisch stellt Wolgemuth oft das Antlitz des Menschen dar! Wie oft malt er uns statt gotischer Verklärtheit ein blödes Lächeln, statt schmerzlicher Ergebenheit den Ausdruck weinerlicher Hilflosigkeit! Von Zwickau ist Hans von Köln gewiß nicht angeregt worden; will man ihn an die Süddeutschen des 15. Jahrhunderts anknüpfen, so muß man schon annehmen, daß er Bayern durchwandert hat und von dem großen Nürnberger Pleydenwurff oder von den ihm noch näherstehenden Meistern Frueauf und Zeitblom beeinflußt worden ist. Aber auch vor diesen Großen kann der Sachse bestehen. Zwar sind seine Gesichter weniger ausdrucksvoll, aber um so eindringlicher sind die Gesten der Jünger, die schmerzlich gebogene Haltung des Herrn, der gewundene Leib des Judas. Oder man betrachte das Bild „Christus vor Kaiphas“: wie unvergeßlich prägt sich neben den Juden, die den Herrn schlagen, der grauhaarige Knecht im Vordergrund ein, der aus Leibeskräften an der Kette des Herrn zieht! Dies ist gegenüber den großen Süddeutschen spezifisch sächsische Kunst; denn die Bewohner unseres Kolonisationsgebietes sind Mischlinge mit wenig ausgeprägtem Stammescharakter. Sie sind gegenüber den Bayern klein, lebhaft, beweglich in den Gesten, stark modulierend im Tonfall der Sprache. Darum ist ihre Kunst eine Kunst der Geste, der stilisierten Gebärde.

In der Kunst um 1500 drückt sich noch die Verschiedenheit der deutschen Stämme kräftig aus. Die nächste Generation versucht alles zu vereinen. Die Süddeutschen wollen die starke Geste hinzugewinnen, die Mitteldeutschen streben nach vertiefter Charakteristik des Gesichtsausdrucks. Es ist klar, daß bei solchen Versuchen die Gefahr geschmackloser Ueberladung besteht, und daß nur den größten Künstlern die Vereinigung gelingt. Dies gilt für die beiden großen süddeutschen Meister der Folgezeit, Albrecht Dürer und mehr noch Matthias Grünewald, während bei uns Lukas Cranachs bescheidenere Kunst die schwere Aufgabe oft nicht bewältigt. Da in der Annenkirche hinter dem Hauptaltar sich ein Gemälde von Cranachs Sohn befindet, welches eine Nachschöpfung der Budapester „Ehebrecherin vor Christus“ darstellt, so kann man die Kunst Cranachs mit der von Ehrenfriedersdorf vergleichen. Bei Cranach erscheint eine Menge oft allzu ausdrucksstarker Köpfe in den Bildraum hineingepreßt; unter und zwischen den Köpfen tauchen lebhaft gestikulierende Hände auf. Die Gestalten und Gebärden überschneiden und stören sich gegenseitig; Springer empfand manches Gemälde Cranachs als „einen beängstigenden Klumpen von Halbfiguren”. Ganz anders der ältere Meister von Ehrenfriedersdorf: er ordnet die zwölf Apostel so weiträumig um den mächtigen runden Tisch an, daß jede Einzelheit des reichen Gebärdenspiels vollständig sichtbar ist. Gewiß erscheint uns diese weiträumige Anordnung gezwungen, aber sie ist doch für eine Kunst der Gebärde unumgänglich notwendig und wirkt deshalb nicht unschön. Hier stehen wir an einer Grenze der Malkunst überhaupt: stärkste Gebärden auf engstem Raum ungezwungen darzustellen, dies ist dem Maler weniger gegeben als dem Reliefbildhauer. Darum gipfelt die Annaberger Kunst um 1500, weil sie eine Kunst der Geste ist, im Relief. Das gewaltigste Werk, welches Annaberg jener Zeit verdankt, ist das Relief der „Schönen Tür“ von der Hand des Meisters H. W. [Hans Witten]

(Fortsetzung folgt.)