100 Häuser eingeäschert.

Erzgebirgisches Sonntagsblatt 119. Jahrgang, Nr. 18, 2. Mai 1926, S. 2

Der schwarze Tag von Ehrenfriedersdorf.

Ein schwerer Gedenktag ist der 30. August 1866 für Ehrenfriedersdorf, wo in der Mittagsstunde in der Scheune des Schmiedemeisters Walther ein Feuer auskam, welches ein starker Südwestwind in die Stadt trieb und die mit Stroh und Schindeln gedeckten Häuser in Brand steckte. Innerhalb von zwei Stunden brannten 100 Häuser ab, wodurch 258 Familien mit 1225 Köpfen ihrer Habe beraubt, obdachlos vor dem Nichts standen. Auch das Rathaus ward ein Raub des gefräßigen Elementes; die Kirche, Pfarre und Diakonat, die Schule, das Gerichtsamt, die Apotheke und der Gasthof blieben verschont. Eine junge Frau und zwei Kinder kamen in den Flammen um.

Es wurde sofort eine Hilfsaktion für die Abgebrannten eingeleitet. Noch am selben Abend trafen von Annaberg und Geyer Wagen mit Brot und Lebensmitteln ein. Im ganzen Lande wurde für die Kalamitosen gesammelt, in Leipzig allein 1822 Thaler. Von König Johann gingen 300, von seiner Gemahlin 120, von der Königinwitwe 100 Thaler ein.

Die Brandruine des Rathauses mit vorgebautem als Notwohnung eingerichteten Behelfshaus.

Die Obdachlosen wurden in den Tanzsälen des Gasthofes und Schießhauses, in Bürgerwohnungen, in Geyer, Thum, Herold, Drebach usw. untergebracht. Eine in der Ratsfronfeste eingerichtete Suppenanstalt gab täglich bis zu 450 Kannen Fleischbrühe und Gemüse ab.

Die Not war riesengroß – und doch hat man sie bewältigt. Der abgebrannte Stadtteil ging schön und zweckmäßig erbaut aus dem großen Unglück hervor. Doch was die armen Menschen zu erleiden hatten, sagen uns heute die steinernen Neubauten nicht mehr. Das vermittelt uns aber das tief empfundene Gedicht von Karl Graupner aus Geyer auf den Tod der beiden unglücklichen Kinder. Es lautet:

Fest umschlungen

Was klingen sie von der Höhe herab
Ins Tal, die ehernen Zungen?
Hat etwa der Tod den wankenden Stab
Der Hand eines Greises entrungen?

Weh! Was sie da klingen, die Glocken vom Turm,
Es ist nicht Geläute zum Frieden;
Sie heulen, und was sie heulen, ist Sturm,
Der Angstschrei des elends hinieden.

Die treffende Flamme aus friedlichem Dach
Aufloht sie, auf, hoch in die Höhe,
Und weiter und weiter allgemach
Trägt fort sie Verderben und Wehe.

Entfesselt ist einmal das Ungetüm,
Mag niemand denn seinem Wüten,
Mag niemand denn seinem Ungestüm
Mit kräftigem Munde gebieten?

Gesättigt ist’s endlich; die Glocke, sie schweigt;
Doch Trümmer sind Häuser und Habe,
Und das verödete Städtlein gleicht
Rings einem weit offenen Grabe.

Und Hunderte ringen die Hände empor,
Und Hunderte jammern und klagen,
Ein schriller und herzerschütternder Chor,
Zur Ferne von den Lüften getragen.

Was aber, was sammelt sich dort zu Hauf‘
So jählings die flutende Menge?
Was wühlen den Schutt und die Asche sie auf
In wogendem wirren Gedränge?

Was ziehen sie aus dem Getrümmer heraus?
Ist’s Silber, geschmolzen vom Feuer?
Sind’s Schätze, einst sorglich vergraben im Haus?
Sind’s Schätze, dem Suchenden teuer?

Zwei Leichen, zwei Kinder sind’s, frisch und rot
Und froh noch vor Stunden beisammen,
Zwei Kinder sind’s, sie ereilte der Tod,
Der grausame Tod in den Flammen.

Und siehe, sie haben umschlungen sich fest,
Wie ringsum der Tod sie bedrohte.
Welch‘ Bild, das der Treu‘, die vom andern nicht läßt,
Der Treue, die hält bis zum Tode!

Weint alle, die’s schauen, weint immerdar,
Doch wisset: die so sich umschlangen,
Die sind ein glückliches Engelpaar,
Zum Paradiese gegangen.

O freundliche Engel, seid immer zur Stell‘,
Wenn einer will brechen die Treue,
Daß wieder das Herz sich zum Herzen gesell‘,
Sich wehrend vor folternder Reue.